Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)
regiert, weil Kirchenmänner bei der Auftragsvergabe ein Auge zudrücken, bringt den Bischof regelrecht auf die Palme.
Als er standhaft alle Warnungen ignoriert, bleibt seinen Gegnern nichts anderes übrig, als zurückzuschlagen. Das System der Korruption im Vatikan betrifft so viele Geschäfte, und Viganò weiß so viel, dass es nicht möglich ist, die Deals vor ihm zu verheimlichen. Es bleibt also nur ein Ausweg: Er muss weg. Um den Mann loszuwerden, braucht es ein Machtwort des engsten Vertrauten des Papstes: Tarcisio Kardinal Bertone muss eingreifen. Als Chef des Staatssekretariats ist Bertone Vorgesetzter des Vollblutdiplomaten Viganò. Er kann ihn mit Zustimmung des Papstes in den diplomatischen Dienst zurückberufen und weit, weit weg schicken.
Das Ganze hat einen enormen Haken: Viganò hat sich nichts zuschulden kommen lassen und ist erst seit zwei Jahren im Amt. Sein Vorgänger Renato Boccardo hatte das Amt vier Jahre bekleidet, bevor er abgelöst wurde. Schon damals hatte die Nachrichtenagentur Adnkronos über den »plötzlichen Wechsel« spekuliert, eine vierjährige Amtszeit war als ungewöhnlich kurz empfunden worden. Was für ein Gerede würde es jetzt erst geben, wenn Viganò nach nur zwei Jahren ersetzt würde. Seinen Gegnern ist eines vollkommen klar: Tarcisio Kardinal Bertone muss Viganò sehr weit weg versetzen und ihn dazu zwingen, zu schweigen. Nur dann kann der unliebsame Mann in der Versenkung verschwinden und die Korruption im Vatikan ungestört weitergehen.
Den Feinden von Viganò gelingt das Kunststück tatsächlich. Der redliche Bischof wird am 19. Oktober des Jahres 2011 weit weg versetzt und über den Großen Teich nach Washington geschickt. Vermutlich wäre die ganze Affäre damit beendet gewesen, wenn die Widersacher des Carlo Maria Viganò nicht etwas übersehen hätten. Die Tatsache, dass er nur zwei Jahre als Generalsekretär des Governatorats amtierte, sorgt für Spekulationen. Es muss einen Grund geben, dass Viganò so rasch abserviert worden war, und so kommt das Gerücht auf, dass er sich aus der Kasse des Papstes bedient haben könnte. Das wiederum bringt den Mann, der hatte aufräumen wollen, so sehr auf, dass er einen Brief schreibt. Damit beginnt der vermutlich größte Spionageskandal des Vatikans seit über 100 Jahren. Jeder Bischof, der sich ungerecht behandelt fühlt, hat das Recht, sich direkt an den Papst zu wenden, und genau das tut Carlo Maria Viganò. Er schreibt dem Papst, dass man ihn abgeschoben habe, weil er Korruption im Vatikan entdeckt hatte und das publik machen wollte. Er bittet den Papst, zurückkehren und dort weitermachen zu dürfen, wo man ihn gestoppt habe. Seine Feinde im Staatssekretariat, die ihn nach Washington schicken wollten, dürften nicht gewinnen.
Der Brief ist an Brisanz kaum zu übertreffen, weil Viganò es wagte, den Unantastbaren, den besten Freund und wichtigsten Mitarbeiter des Papstes, Tarcisio Kardinal Bertone, als einen Beschützer von Kriminellen hinzustellen. Der Brief ist eine Bombe, und das begreift auch Kammerdiener Paolo Gabriele. Seit sechs Jahren sammelt er bereits heimlich Unterlagen des Papstes, doch einen so »heißen« Brief hatte er noch nie in der Hand. Er weiß, dass Journalisten sich um diesen Brief reißen würden, er kopiert ihn und nimmt die Kopie mit. Das Original erhält Joseph Ratzinger.
Papst Benedikt XVI . hat angesichts dieses Briefes nur zwei Möglichkeiten: Entweder er feuert seinen Freund, den Kardinalstaatssekretär, weil er einen unverzeihlichen Fehler begangen hat, oder aber er lässt Viganò einfach fallen und in Washington versauern, wo er der korrupten Clique im Vatikan nicht mehr gefährlich werden kann. Der Papst entscheidet sich für Letzteres. Doch das Schicksal oder »der Teufel« (wie später Tarcisio Kardinal Bertone vermuten wird) oder aber gar der liebe Gott sorgen dafür, dass es anders kommt.
Im Januar 2012 scheint die Operation Viganò perfekt abgelaufen zu sein. Der unliebsame Bischof ist weg, die Korruption kann weitergehen wie gehabt. Der Protestbrief Viganòs an den Papst war wirkungslos geblieben, niemand ahnt, dass ihn ausgerechnet der Kammerdiener an sich gebracht hatte. Benedikt XVI . entscheidet sich, Viganò keineswegs wieder zurückzuholen, trotz dessen Bitte, die Versetzung rückgängig zu machen, um die Korruption weiter bekämpfen zu können. Offensichtlich ist Viganò tatsächlich so integer, wie seine Gegner immer gefürchtet hatten, denn statt sich öffentlich über
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