Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)
über ein Kopfnicken nicht hinaus.
Mit Paoletto änderte sich alles, er schien das neue, menschliche, frische Gesicht am Hof des Papstes zu sein – allein schon deswegen, weil er der Vater dreier kleiner Kinder war. Er wohnte mit seiner sympathischen Frau im Vatikan, und ich freute mich jedes Mal, wenn ich die junge Familie hinter den Mauern des Vatikans spazieren gehen oder im Vatikan-Supermarkt einkaufen sah, weil ich dann dachte, dass es dem Staat der alten Männer im Vatikan ganz gut tat, zu sehen, womit sich eine Familie mit drei kleinen Kindern herumschlagen muss. Paolo war ebenso korrekt wie Angelo Gugel, aber nicht so unzugänglich. Wenn der Papst gerade eine Predigt hielt und Paolo irgendwo herumstand und wartete, bis er dem Papst einen Schirm oder einen Mantel bringen musste, haben wir auch ganz normale Gespräche über unsere Kinder, über Fußball oder über die schlechten Restaurants rund um den Vatikan geführt.
Als im Frühjahr 2012 den Zeitungen die ersten geheimen Unterlagen aus dem Büro des Papstes zugespielt wurden, hätte ich nie im Leben darauf getippt, dass Paolo hinter dem Komplott steckte. Als der Deckname des Spions, »Maria«, bekannt wurde, hätte ich eher an einen alten, verräterischen Kardinal gedacht als an Paolo. Es war der erste Sekretär des Papstes, Monsignore Georg Gänswein, der Paolo am 25. Mai 2012 enttarnte und für seine Festnahme sorgte. In dem Buch Seine Heiligkeit des Journalisten Gianluigi Nuzzi hatte Georg Gänswein ein Dokument entdeckt, das nur durch ihn, Gänswein, den zweiten Sekretär Alfred Xuereb oder Paolo Gabriele an die Öffentlichkeit gelangt sein konnte, weil nur die drei Zugang zu diesem Brief und den drei Schreibtischen im Vorzimmer des Papstes hatten. »Ich bin es nicht gewesen, der diesen Brief weitergegeben hat, dass es Alfred war, glaube ich nicht, also musst du es gewesen sein«, soll Gänswein gesagt haben.
Die Razzia im Haus von Paolo Gabriele brachte kistenweise gestohlene Unterlagen an den Tag. Bis zum 21. Juni 2012 saß er in Haft, danach wurde er zu seiner Familie zurückgeschickt und durfte dort unter Hausarrest leben. Am 6. Oktober 2012 verurteilte ihn das Gericht im Vatikan wegen schweren Diebstahls zu 18 Monaten Haft, die er im Gefängnis des Vatikans abzusitzen begann. Am 22. Dezember 2012 besuchte ihn Papst Benedikt XVI . im Gefängnis, vergab ihm und sorgte für seine sofortige Freilassung.
Der Papst war über das, was geschehen war, bis ins Mark erschüttert. Der Kammerdiener des Papstes ist nicht einfach nur ein normaler Angestellter, der seinen Job macht und dafür bezahlt wird. Der Kammerdiener gehört quasi zur Familie des Papstes, er hilft ihm beim An- und Auskleiden, nimmt an den Festen teil, ist in den privaten Momenten zugegen, in denen der Papst einfach mal nicht der Papst, sondern ein müder alter Herr sein will. Für Benedikt XVI . war Paolo wie ein Sohn, und deswegen wog dieser Verrat so schwer. Leider bestätigte sich auch die Hoffnung nicht, dass sich die ganze schreckliche Affäre auf einen Einzeltäter, auf Paolo Gabrieles eigenartigen Raubzug im Vorzimmer des Papstes, reduzieren ließ. Vielmehr sollten die »007-Kardinäle« des Papstes herausfinden, dass der Verrat des Paolo Gabriele eher ein Kavaliersdelikt war, gemessen an dem Abgrund, der sich sonst innerhalb der Kurie auftat. Das schockierte die Kardinäle, die im März zum Konklave zusammentraten, weil sie jetzt wussten, wie weit verbreitet Korruption und Intrigen innerhalb der Kirche waren und dass sie bei der Wahl des Nachfolgers von Benedikt XVI . nach einem Mann suchen mussten, der vor allem eines sein sollte: ein starker Papst.
Papst Benedikt XVI . hatte sich ganz bewusst dazu entschlossen, ein schwacher Papst zu sein, viel Entscheidungsgewalt abzugeben. Er wollte als Theologe wirken und sich nicht Kompetenzen anmaßen, die er nicht besaß. Das war der Plan gewesen, es hatte aber nicht geklappt. Statt dem Papst Entscheidungen abzunehmen und in seinem Sinne zu handeln, hatte die Kurie ihn hintergangen. Diese Vorgeschichte hatte auch zur Wahl Jorge Mario Bergoglios geführt. Man konnte Bergoglio für aufbrausend halten, aber dass er sich vor schwierigen Entscheidungen drückte und sich versteckte, konnte man ihm sicher nicht vorwerfen.
Starker Papst – schwacher Papst
Die Wahl von Papst Franziskus war allein deswegen schon von großer Dramatik geprägt, weil sich seit Jahrhunderten nicht mehr ein solches Spannungsfeld zwischen einem extrem starken und
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