Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)
einem unmittelbar darauf folgenden extrem schwachen Papst aufgetan hatte. Die Wahl des neuen Papstes war also nicht nur mit der Frage verbunden, wer der neue Papst sein, sondern vor allem auch damit, wie er das Amt des Papstes ausüben sollte. In einem war sich das Konklave bei der Wahl von Papst Franziskus einig: Das Experiment mit dem stark intellektuell geprägten Joseph Ratzinger war fehlgeschlagen. Jetzt musste wieder ein Mann her, der auf den Tisch hauen konnte. Das war eines der entscheidenden Kriterien für die Wahl von Papst Franziskus.
Die Geschichte des starken Papstes aus Polen beginnt an einem Telefon. Bekannt wird sie erst lange nach dem Tod von Karol Wojtyła; zu dessen Lebzeiten hat niemand gewagt, über das zu sprechen, was da passiert war. Giovanni Kardinal Lajolo (* 1935), der eine Bilderbuchkarriere im Staatssekretariat gemacht hatte, bevor man ihn in das Governatorat abschob, hat sie mir erzählt: »Ich war im Staatssekretariat, zusammen mit vielen anderen, als das Telefon klingelte und der Staatssekretär Agostino Kardinal Casaroli abnahm. Papst Johannes Paul II . war in der Leitung, und er brüllte seinen Staatssekretär am Telefon derart an, dass es das ganze Staatssekretariat mitbekam. Dann legte Agostino Casaroli auf, er war totenblass. Einen solchen Vorfall hatte es im Staatssekretariat überhaupt noch nie gegeben. Niemand konnte sich daran erinnern, dass so etwas unter Paul VI. oder Johannes XXIII . oder Pius XII . je passiert war – ein Papst, der seinen zweiten Mann regelrecht anschrie. Johannes Paul II . rief dann später noch einmal an, um sich zu entschuldigen, aber alle wussten ab dem Zeitpunkt Bescheid.«
Bescheid wussten jetzt alle über eines: Im Apostolischen Palast saß alles andere als ein Weichei, sondern das absolute Gegenteil, ein »Rambo-Papst«, ein Mann, der mit dem Kopf durch die Wand ging, wenn es sein musste, ein Mann, der keinen Zweifel daran ließ, dass er der Boss war, und dass jeder, der das nicht ernst nahm, mit erheblichem Ärger rechnen konnte.
Der Vatikan stand angesichts dieses Papstes rund drei Jahrzehnte lang – und das ist keine Übertreibung – unter einem regelrechten Schock. Dabei hatte die Kurie nach der Wahl des Kardinals von Krakau in einem Punkt nicht den geringsten Zweifel gehegt: Karol Wojtyła würde keine Chance haben gegen die Kirchenregierung. Die Kurie war sich absolut sicher, dass sie mit diesem Papst würde machen können, was sie wollte, denn Johannes Paul II . hatte nun einmal überhaupt keine Ahnung, wie die Kurie funktionierte. Ein Schicksal, das Papst Franziskus mit ihm teilen sollte. Er hatte dort keine Freunde, keine Vertrauten, er war vollkommen ungeschützt. Er kam von weit her, aus Polen, hatte nie Erfahrungen am Hof der Päpste in Rom gesammelt. Es schien unausweichlich, dass er sich auf die Kurie verlassen und sich auch von ihr lenken lassen würde. Aber es kam völlig anders, und viele Kurienkardinäle haben sich von dem Wirbelsturm, den Karol Wojtyła entfachen sollte, bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Amt nicht mehr erholt.
Das Hauptproblem der Kurie bestand darin, dass Johannes Paul II . durch seine 104 Auslandsreisen die wichtigste Einrichtung der Kurie, das Staatssekretariat, überflüssig gemacht hat. Jahrhundertelang hatte das Staatssekretariat im Auftrag des Papstes die Beziehungen zu den einzelnen Staaten gepflegt, Briefe geschrieben, Gespräche führen lassen über den Nuntius vor Ort. Dabei ging es etwa darum, ob Kinder katholischen Religionsunterricht bekamen, ob die römisch-katholische Kirche in den betreffenden Ländern Krankenhäuser, Kindergärten, Altenheime betreiben durfte, und ähnliche Probleme. Doch dann kam Johannes Paul II . und reiste durch die Welt. Statt sich mit einem Brief aus dem Staatssekretariat abspeisen zu lassen, zogen es die meisten Staatsoberhäupter vor, mit Johannes Paul II . direkt zu sprechen, was diesem auch lieber war, aber das Staatssekretariat de facto komplett entmachtete und arbeitslos machte.
Papst Benedikt XVI . sorgte nicht für eine leichte Kurskorrektur, sondern entschloss sich, genau das Gegenteil von seinem Vorgänger zu tun. Statt dem Staatssekretariat nur etwas weniger hineinzufunken, hielt er sich komplett heraus. Der Theologe Ratzinger hatte bittere Erfahrungen gemacht, wenn er versucht hatte, sich in die Politik und Kirchenpolitik einzumischen. Er entmachtete sein eigenes Amt, das des Papstes, so sehr, dass selbst während der großen Krisen seines Pontifikates
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