Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)
zum ersten Mal tat. Statt sich in gewöhnlichen theologischen Betrachtungen zu ergehen, sagte der Papst an dem weltberühmten Fenster über dem Petersplatz im Oktober 1996 plötzlich etwas ganz Persönliches: »Der Papst muss ins Krankenhaus.« In den darauffolgenden Tagen beschäftigten sich die Medien rund um den Globus damit, wie krank ein Papst eigentlich sein musste, um einen Krankenhausaufenthalt vor den Augen der Weltöffentlichkeit anzukündigen. War das eher ein Abschied als die Vorankündigung einer Operation gewesen?
Die Befürchtungen erwiesen sich als grundlos, der Papst überstand die Blinddarmoperation gut. Doch eines hatte sich verändert: Zum ersten Mal hatte ein Papst eine wichtige Nachricht, die ihn persönlich betraf, offen vor der ganzen Welt und allen Gläubigen am Petersplatz ausgesprochen. Seitdem hatte sich im Kopf aller Vatikanfachleute die Vorstellung festgesetzt, dass, wenn ein Papst etwas zu sagen hätte, etwas, das wirklich wichtig war für die ganze Kirche, etwas, das ihn betraf, er das tun würde wie Karol Wojtyła, in aller Öffentlichkeit auf dem Petersplatz. Dass sein Nachfolger die wichtigste Nachricht seines Pontifikates nicht vor den Gläubigen auf dem Petersplatz, sondern hinter verschlossenen Türen während einer relativ unwichtigen Kardinalsversammlung mitteilen würde, zu der nur die Fernsehkameras des Vatikansenders CTV zugelassen waren, hätte sich niemand auch nur ansatzweise vorstellen können. Aber es gab ja kein Vorbild für eine solche Entscheidung, es war das allererste Mal.
Ungewöhnlich ist an diesem Vormittag im Vatikan nur eines: die Präsenz des Oberhauptes, also des Dekans der Kardinäle und langjährigen Kardinalstaatssekretärs Angelo Sodano (* 1927). Dass der alte Herr zu einer relativ banalen Versammlung kommt, bei der es um Seligsprechungen geht, erscheint von Anfang an bemerkenswert. Sodano hat sich rar gemacht in den zurückliegenden Jahren, aber jetzt steht er da in dem Raum, und unsicher sucht Papst Benedikt XVI . seinen Blick. Später werden sich viele fragen, warum der liebe Gott Joseph Ratzinger diese letzte Schmach, diese letzte Prüfung, nicht erspart hat. Jeder Theologe im Vatikan wäre an diesem Tag, an dem Benedikt XVI . seinen Rücktritt erklärte, persönlich bis ins Mark erschüttert gewesen darüber, dass die Epoche des großen Theologen auf dem Thron Petri jetzt zu Ende ging. Jeder Theologe hätte angesichts der Lebensleistung des Joseph Ratzinger alles getan, um ihm diesen Abschied so leicht wie möglich zu machen und ihm das Gefühl zu geben, einer der ganz großen Denker in der Geschichte der katholischen Kirche gewesen zu sein.
Aber Benedikt XVI . hat keinen Theologen vor sich, sondern einen Politiker, den langjährigen Chef des Staatssekretariats, der wie kein anderer dafür gesorgt hat, dass dieser Papst aus Deutschland als einer der ohnmächtigsten und schwächsten aller Päpste in die Geschichte der Kirche eingehen wird. Benedikt XVI . muss an diesem Tag seines Rücktritts dem Dekan der Kardinäle mitteilen, dass ab 28. Februar 2013, 20 Uhr, der Thron des Papstes frei sein wird. Und dieser Dekan ist nun einmal Angelo Sodano, der einzige hohe Würdenträger, mit dem Joseph Ratzinger in seiner langen Amtszeit im Vatikan richtig übel aneinandergeraten ist. Dies führte dazu, dass Benedikt XVI . beschloss, ein vollkommen unpolitisches Pontifikat auszuüben, weil ebendieser Kardinal Sodano Ratzinger klargemacht hatte, dass er, Ratzinger, keinerlei Gespür für politische Fragen habe.
Nach der sensationellen Ankündigung des Rücktritts werden alle beteiligten Kardinäle betonen, in welch liebevoller Atmosphäre sich das alles abgespielt habe und mit wie viel Hochachtung und Wertschätzung sie dies aufgenommen hätten. Die Anwesenden wissen genau, dass diese Darstellung Unfug ist und nichts mit der Wahrheit zu tun hat. Der zurückgetretene Pontifex stand in Wirklichkeit vor seinem Scharfrichter, dem Mann, der schon lange der Meinung war, dass Joseph Ratzinger nicht der ideale Mann für den Thron des Papstes sei. Jetzt musste Ratzinger vor ihm und den Kardinälen eingestehen, dass er sie um Vergebung bitten musste für die Fehler, die er begangen hatte. Statt an der Seite eines ihm wohlgesonnenen Mannes diese letzten Schritte im Vatikan zu gehen, bleibt es Benedikt XVI . nicht erspart, dass auch die Ankündigung des Endes seines Pontifikates so schmerzlich ausfällt wie die des Anfangs, als er seine Wahl mit einer Exekution verglich
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