Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)
Märtyrer von Otranto teilnehmen soll, versteht er das zunächst nicht. Doch der Übermittler der Nachricht macht Sodano dann rasch klar, dass es um etwas anderes geht.
Papst Benedikt XVI . wird an diesem 11. Februar die seltsamste Terminplanung in der 2000-jährigen Geschichte der katholischen Kirche vornehmen. Der amtierende Papst wird einen Termin festlegen, den sein Nachfolger wahrnehmen muss, obwohl er selbst dann wohl noch am Leben sein wird. Am 12. Mai sollen vor dem Petersdom feierlich die Märtyrer von Otranto heiliggesprochen werden, vom Nachfolger Papst Benedikts XVI . Als Kardinal Sodano begreift, dass Benedikt XVI . seinen Rücktritt aussprechen will, erkennt er sofort die Dramatik des Geschehens. Als Dekan der Kardinäle wird er die Wahl des Nachfolgers organisieren müssen. Obwohl er das aktive Wahlrecht mit der Vollendung des 80. Lebensjahres längst verloren hat, werden die Kardinäle seiner Meinung, wer der geeignetste Kandidat sein könnte, viel Gewicht beimessen. Zunächst aber lässt Sodano ein weiteres Mal die Rechtslage prüfen. Wenn Papst Benedikt XVI . diesen Rücktritt erklärt, wird die Welt der Meinung sein, dass auch der Vatikan vor einer völlig neuen Situation stehen wird.
Sodano weiß, dass dem nicht so ist. Schon zweimal haben Päpste den Auftrag gegeben, rechtlich zu prüfen, ob sie zurücktreten können, und die Folgen abzuschätzen. Papst Paul VI . ließ ein rechtliches Gutachten einholen, als sich sein Gesundheitszustand aufgrund einer Herzkrankheit im Frühjahr 1978 zusehends verschlimmerte. Das Ergebnis war eine Überraschung: Zwar erklärten schon damals die damit befassten Kirchenrechtler, dass es keinerlei Hindernis gebe für einen Rücktritt. Aber sie wiesen darauf hin, dass ein Problem bestehe. Ein zurückgetretener Papst, der weiterhin im Vatikan wohnte, würde zweifellos seinen Nachfolger in Verlegenheit – »imbarazzo« im Original – bringen. Papst Paul VI . entschloss sich, nicht abzudanken. Johannes Paul II . schließlich hatte am 22. Februar 1996 die neue Regel zur Papstwahl, die apostolische Konstitution Universi Dominici Gregis, erlassen, in der ausdrücklich noch einmal auf Paragraf 332, Absatz 2 des Kirchenrechtes hingewiesen wird, der erlaubt, dass ein Papst, ohne vor irgendjemandem Rechenschaft ablegen zu müssen, abdanken kann. Karol Wojtyła hatte auch für sich eine solche Abdankung prüfen lassen, war aber dann zu dem Ergebnis gekommen, dass im Vatikan für einen pensionierten Papst kein Platz sei.
Als der Papst gegen 11.45 Uhr zu sprechen beginnt, weiß Kardinal Sodano, dass der Kirche keine ruhige Fastenzeit bevorsteht. Auch in diesem Jahr wird sich die komplette Kurie in der ersten Woche der Fastenzeit zu geistlichen Übungen zurückziehen, dann werden wie immer alle Aktivitäten ruhen. Doch diesmal wird es alles andere als eine beschauliche Meditation werden.
Statt lange um den heißen Brei herumzureden, kommt der Papst gleich auf den Punkt. Er erklärt sofort im ersten Satz, dass es heute nicht nur darum gehen werde, die drei Heiligsprechungen zu erörtern, sondern auch um eine »decisionem magni momenti pro ecclesiae vitae«, eine »besonders wichtige Entscheidung für das Leben der Kirche«. Papst Benedikt XVI . braucht ganze fünf Sätze, um es auszusprechen, »ut a die 28 februarii MMXIII , hora 20, sedes Romae, sedes Sancti Petri vacet […]« – »dass ab dem 28. Februar 2012, 20 Uhr, der Stuhl des Bischofs von Rom, der Stuhl des heiligen Petrus, leer sein wird«.
In ihrer Wabe im Pressesaal des Heiligen Stuhls hat Giovanna Chirri gerade noch Zeit, diese sensationelle Nachricht aus dem Lateinischen zu übersetzen, sie zu verstehen, in ihr System einzutippen und zu bestätigen, dann bricht sie weinend zusammen in dem Moment, in dem die Welt erfährt, dass der Papst zurückgetreten ist.
Warum dankt der Papst ab?
In Windeseile jagt die Nachricht um den Globus, und wieder einmal zeigt sich, was den Vatikan so einzigartig macht: die weit zurückreichende Geschichte der ältesten Institution der Welt. Die Historiker haben rasch herausgefunden, dass Gregor XII . (Pontifikat 1406–1415) der letzte Papst war, der zurücktrat. Diese Einschätzung ist aber allein schon deshalb umstritten, weil Gregor XII . nicht wirklich zurücktrat, sondern am 4. Juli 1415 abgesetzt wurde zugunsten seines Nachfolgers Martin V. Den einzigen wirklichen Rücktritt in der langen Geschichte der Päpste erlebte die Kirche am 13. Dezember 1294, damals dankte Coelestin
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