Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)
und in der Audienzhalle vor den bayerischen Pilgern über den Moment seiner Wahl sagte: »Als das Fallbeil fiel.« Joseph Ratzinger ist bis zum Schluss anzumerken, dass er kein Papst der Massen ist, dass er die Massen nie geliebt hat und sich ihnen immer ausgeliefert fühlt. Deswegen will er wie ein Soldat die Macht, die er von den Kardinälen bekommen hat, an die Kardinäle zurückgeben. Er ist nicht der Papst »der Herzen«, der sich vom Petersplatz aus, seiner Arena, verabschiedet, an dem Ort, wo Millionen von Gläubigen den schüchternen Mann unbedingt feiern wollten.
Nein, in diesem Saal im Apostolischen Palast will er das Ende ankündigen, und zwar vor dem Dekan der Kardinäle, und dass dieser Dekan, obwohl schon lange kein wahlberechtigter Kardinal mehr, ausgerechnet der ehemalige Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano ist, darin liegt die Tragik dieses schrecklichen Momentes. Begonnen hatte dieses Trauerspiel im Juli 2004. Joseph Ratzinger, damals noch Präfekt der Glaubenskongregation, ließ sich zu einem Interview mit der französischen Tageszeitung Le Figaro breitschlagen, das im August des Jahres erscheinen sollte. Ich erinnere mich noch gut daran, wie stolz Sophie de Ravinel darauf war, dass sie es geschafft hatte. Die junge Französin hatte lange gebraucht, um Ratzinger zu diesem Interview zu bewegen. Sophie wusste damals schon, dass sie bald nach Frankreich zurückgehen würde, und wollte sich mit diesem Interview zu Hause den Boden bereiten für ihre weitere Karriere, was vollkommen gelang – nach dem Interview war sie in aller Munde.
Es war damals schon nicht einfach, Joseph Ratzinger zu interviewen. Der Mann liebt es nun einmal, über ein Thema zu sprechen, das auf dieser Welt nur eine winzige Minderheit interessiert: die alten Kirchenlehrer wie Bonaventura. Dennoch gelang es Sophie, Joseph Ratzinger ein klares politisches Statement zu entlocken. Er sprach sich eindeutig gegen die Mitgliedschaft der Türkei in der EU aus. Die Türkei, das sei immer das »andere« gewesen. Wenige Stunden nach der Veröffentlichung des Interviews kam es zu einem einzigartigen Affront: Der damalige Kardinalstaatssekretär Sodano nahm sich Ratzinger zur Brust und betonte, Ratzinger habe vorschnell nur seine eigene Meinung ausgedrückt. Auch wenn Ratzinger der Präfekt der Glaubenskongregation sei, so sei seine Meinung nicht die Meinung der Kirche.
Diese Ohrfeige saß und führte später zu einer der großen Niederlagen Benedikts XVI . Als dieser am 28. November 2006 in Ankara landete, wartete der türkische Premier Recep Tayyip Erdo˘gan auf ihn. Der Papst musste sich entscheiden. Entweder blieb er mutig bei seiner Meinung, dass die Türkei in der EU nichts verloren habe, und wahrte so sein Gesicht, oder aber er knickte vor dem Gastgeber ein und erklärte, er erhoffe eine Aufnahme der Türkei in die EU . Benedikt XVI . entschied sich für das Zweite und stand vor einem politischen Scherbenhaufen.
Angelo Kardinal Sodano hatte recht. Die freie Meinung des Joseph Ratzinger, die Türkei solle aus der EU herausgehalten werden, schadete den realen Interessen der Kirche. Weil Ratzinger als Kardinal mit seiner Meinung danebengelegen hatte, schadete er jetzt dem Amt des Papstes. Ein Papst, der an seiner Meinung nicht festhielt, sondern umfiel, verlor drastisch an Glaubwürdigkeit. Der einzige Versuch Joseph Ratzingers, eine politische Haltung durchzusetzen, war gescheitert. Benedikt XVI . würde sich in den restlichen Jahren seiner Amtszeit aus der Politik des Vatikans so sehr heraushalten, dass man ihn in der Williamson-Affäre nicht einmal mehr über die erste Kritik einer deutschen Regierungschefin an einem Papst seit den Zeiten Bismarcks informieren würde. Er sollte von da ab von der Politik des Vatikans nur noch aus dem Fernsehen erfahren.
Eine Zusammenkunft der Kardinäle, die lediglich dazu dient, über drei Heiligsprechungen zu beraten, war bei Weitem nicht wichtig genug, um Angelo Sodano, den Dekan der Kardinäle, dazuzuholen. Das höchste Fest der Christenheit, das Osterfest, war gerade gut genug, um Sodano letztmals im Jahr 2010 an einer päpstlichen Zeremonie teilnehmen zu lassen. Sodano residiert in einer luxurösen, großen Wohnung am Äthiopischen Kolleg, dem einzigen Priesterseminar innerhalb des vatikanischen Parks. Schöner kann man in Rom eigentlich nicht wohnen. Als er am 11. März 2013 aus dem Sekretariat des Papstes erfährt, dass er an der Zusammenkunft zur Vorbereitung der Heiligsprechung der
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