Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)
aus, was geschehen würde, wenn der Papst tatsächlich zurückträte und von Paragraf 332, Absatz 2 Gebrauch machte. Mein Chefredakteur hieß damals Udo Röbel, ihm gefiel die Geschichte. Ich wusste, dass der Rücktritt des Papstes ein Tabuthema im Vatikan war, aber ich hatte keine Ahnung, wie sehr es tabu war, so tabu, dass allein die schlichte Vorstellung, dass ein Papst zurücktreten könnte, im Vatikan mit aller Härte bekämpft wurde.
Ich weiß noch, dass ich über die wunderschöne Tiberinsel ging, als auf dem Weg ins Büro mein Handy klingelte. Es war eines der wenigen Male in 25 Jahren Tätigkeit im Vatikan, dass ich zu einem extrem unerfreulichen Gespräch geladen wurde. Einige italienische Tageszeitungen hatten meine Geschichte darüber, was passieren würde, wenn ein Papst zurückträte, übernommen, und das hatte der damalige Sprecher des Papstes, Joaquín Navarro-Valls, gelesen. Er ließ einen seiner Mitarbeiter, Vik van Brantegem, meine Nummer heraussuchen und mich anrufen. Vik erklärte mir, dass Navarro-Valls mit mir persönlich über den Artikel über den vermeintlichen Rücktritt eines Papstes sprechen wolle, und an dem Ton, in dem Vik sprach, konnte ich zweifelsfrei erkennen, dass das kein angenehmes Gespräch werden würde.
Ich bat darum, so rasch wie möglich von Navarro-Valls empfangen zu werden, ich wollte nicht noch schlaflose Nächte durchstehen müssen, bevor mir der Kopf gewaschen werden würde. Ich bekam für den darauffolgenden Vormittag einen Termin.
Joaquín Navarro-Valls wurde später ein wirklich guter Freund von mir, dem ich für vieles dankbar bin, aber damals kannte ich ihn nur als den Chef des Pressesaals. Ich hatte großen Respekt und auch eine gewisse Furcht vor ihm. Er ließ mich in seinem Büro Platz nehmen, und der alte Fuchs eröffnete das Gespräch mit einem glänzenden Schachzug. Statt mich in die Pfanne zu hauen, was ich erwartet hatte, unternahm er etwas ganz anderes: Er entschuldigte sich. Seine Argumentation war entwaffnend. Er erklärte mir, dass er mich offensichtlich nicht ausreichend und nicht zuverlässig genug mit Informationen versorgt habe, sonst wäre ich ja wohl kaum auf die Idee gekommen, über den Rücktritt des Papstes zu spekulieren. Der ausgebildete Arzt Navarro-Valls übermittelte mir in äußerst eleganten Worten eine weniger elegante Botschaft: Offensichtlich ist es mir nicht gelungen, dir klarzumachen, dass ich einen solch absoluten Schwachsinn wie die Geschichte über den möglichen Rücktritt eines Papstes nicht lesen will. Einen Rücktritt des Papstes wird es einfach nicht geben – basta! Entweder wusste Navarro-Valls damals noch nicht, dass Papst Johannes Paul II . die Konditionen für einen Rücktritt bereits prüfen ließ, oder aber er wollte nicht, dass das Thema überhaupt in den Zeitungen besprochen wurde.
Eines war aber ganz klar: Der Vatikan wollte auf keinen Fall, dass über den Rücktritt des Papstes auch nur spekuliert wurde. Ich bedankte mich für die Belehrung, zog den Kopf ein und beschloss, zunächst nicht wieder über den möglichen Rücktritt des Papstes zu schreiben. Wie vollkommen tabu das Thema Papstrücktritt war, erfuhr ich dann im Frühjahr 2005 noch einmal, und zwar äußerst drastisch.
Einen offenen Streit zwischen zwei wichtigen Kardinälen bekommt man im Vatikan so gut wie nie mit. Die Kardinäle wissen, dass öffentlich ausgetragene Konflikte dem Ansehen der Kirche schweren Schaden zufügen. Deswegen war es auch so unfassbar, was anlässlich eines so völlig unbedeutenden Termins wie der Einweihung der Buchhandlung an der Piazza Pio XII im März 2005 geschehen sollte. Der Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano war persönlich erschienen. Das war eine enorme Ehre für die Veranstalter. Trotzdem wären unter normalen Umständen nur wenige Kollegen zu einem solchen Termin gekommen. Die Einweihung eines Buchladens haut auf der Welt nun wirklich niemanden um, doch die Zeiten waren damals äußerst angespannt. Papst Johannes Paul II . lag ganz offensichtlich im Sterben. Kaum hatte Sodano die Buchhandlung eingeweiht, fielen die Kollegen, ich im Übrigen auch, über den Kardinal her. Es ging wie schon seit Jahren nur noch um die eine Frage: Wie schlecht stand es um Karol Wojtyła wirklich? Ein Kollege stellte schließlich die fatale Frage, an der ich mir schon einmal die Finger verbrannt hatte: Sollte der Papst angesichts seines schlechten Gesundheitszustandes nicht zurücktreten?
Sodano gab eine äußerst ausgewogene
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