Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)
Antwort, die er politisch so korrekt formulierte, dass sie fast schon wieder nichtssagend war: »Wenn Papst Johannes Paul II . zurücktreten will, dann hat er sicher auch die Kraft, das Richtige zu entscheiden.« Ich hätte nie im Leben geglaubt, dass diese diplomatische Antwort zu einem Eklat führen würde. Es geschah, was sonst nie geschieht: Der mächtige Chef der Kongregation für die Bischöfe, der cholerische Kardinal Giovanni Battista Re, fuhr Sodano öffentlich regelrecht über das Maul und erklärte, dass dieser eine unglaubliche Unverschämtheit begangen habe, weil er den Rücktritt des Papstes auch nur in Erwägung gezogen habe.
Dieser öffentlich ausgetragene Streit der Kardinäle zeigte mir ein weiteres Mal, wie vollkommen tabu das Thema eines Papstrücktritts war. Doch dann geschah etwas Seltsames: Am 25. Februar 2005 traf ich Joseph Kardinal Ratzinger zusammen mit Joaqín Navarro-Valls, und zwar im Fahrstuhl des Palazzo Colonna in Rom. Ratzinger sollte das Buch Erinnerung und Identität von Karol Wojtyła vorstellen. In dem für die Buchpräsentation angemieteten wunderschönen römischen Palast in der Nähe des Trevi-Brunnens herrschte ein sagenhaftes Gedränge, und ich war nur zufällig von der Menge in den Fahrstuhl geschubst worden, in dem Ratzinger und Navarro-Valls standen. Dieser scherzte, dass er nichts dagegen hätte, wenn ich mit Ratzinger Deutsch spräche, auch wenn er dann kein Wort verstehen würde. Trotz seiner lachenden Augen erkannte ich das Blinzeln darin, das mir bedeutete: Lieber Andreas, frag den Kardinal, was immer du willst, aber untersteh dich, eine einzige Frage zu einem möglichen Rücktritt des Papstes zu stellen.
Ich hielt mich nicht daran und fragte Joseph Ratzinger ganz offen, was er über einen Rücktritt denke. Zu meiner maßlosen Überraschung ging er dem Thema nicht aus dem Weg, obwohl alle anderen Kardinäle es mieden wie der Teufel das Weihwasser, sondern erwiderte ganz offen, dass ein Papst einen klaren Blick für die Probleme der Kirche haben müsse. Er sagte unmissverständlich, dass er den Rücktritt eines Papstes befürworten würde, sollte ein Papst einfach nicht mehr können. Vor allem aber sollte ein Papst dann zurücktreten, wenn die Kirche ihn nicht mehr tragen könne.
Ich weiß noch, dass Kardinal Ratzinger mich anlächelte. Ich hätte damals nie geglaubt, dass ich vor dem künftigen Papst stand – er erschien mir als ein einfacher Kardinal, der sich nach dem Ruhestand sehnte. Er lächelte mich auf diese gleiche Weise an, wie es damals fast alle Kardinäle, Bischöfe und selbst einfache Mitarbeiter des Vatikans taten. Dieses Lächeln bedeutete damals für uns alle das Gleiche: Du weißt doch Bescheid über das, was gespielt wird, und ich wusste es tatsächlich, wir alle wussten es.
Joseph Ratzinger wusste, was an diesem Tag, dem 25. Februar, geschehen würde. Er war gekommen, um ein Buch zu verteidigen, in dem Karol Wojtyła einen großen Blödsinn geschrieben hatte: Er hatte Abtreibungen mit der Shoa verglichen, ein idiotisches Unterfangen. Die Entscheidung einer Frau zu einem legalen Schwangerschaftsabbruch den Verbrechen der nationalsozialistischen Massenmörder gleichzusetzen, die Millionen Juden und andere ermordet oder in den Tod getrieben hatten, war einfach nur Unfug. Ratzinger wusste, was kommen würde: Sobald er über das Buch spräche, würden wir diesen Unsinn unter den Tisch fallen lassen, als gäbe es ihn gar nicht – und so kam es auch. Die Pressekonferenz dauerte über eine Stunde, nicht eine Minute lang ging es um den bescheuerten Vergleich, den wir einfach unterschlugen und über den keiner, der Karol Wojtyła kannte, etwas schrieb. Den Rest der Zeit ging es ausschließlich darum, wie besorgt wir alle um den Papst waren, weil ausnahmslos alle, die ihn in den vergangenen Jahrzehnten erlebt und kämpfen sehen hatten, ihn auf ihre Art und Weise in ihr Herz geschlossen hatten. Es wäre uns damals nie in den Sinn gekommen, den geschwächten Karol Wojtyła in die Pfanne zu hauen – und wenn er noch so großen Humbug schrieb.
Joseph Ratzinger wusste das, er wusste, dass sich eine hohe Mauer gebildet hatte, ein enormer Verteidigungsring, der den geschwächten Papst schützen würde. Denn alle, die im und um den Vatikan mit Karol Wojtyła zu tun hatten, wollten ihn schonen, weil sie das Gefühl hatten, dass der Mann etwas Besonderes war. Wie bitter dagegen muss jetzt der Abschied des Joseph Ratzinger gewesen sein! Als die Stadt Rom kurz
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