Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)
vor dem Tod Karol Wojtyłas überall Plakate des »Papa buono«, des guten Papstes, befestigen ließ, klauten die Römer sie massenhaft, um sich das Bild des hoch verehrten Pontifex zu Hause aufzuhängen. Die ganze Stadt war Wojtyłas Festung geworden.
Das Erstaunliche daran war vor allem der Umstand, dass selbst die total unreligiösen, die ungläubigen, die wirklich hartgesottenen Jungs ein Teil dieses Verteidigungsrings um den Papst wurden. Das zeigte sich etwa im September 2003 in Bratislava in der Slowakei. Johannes Paul II . war so schwach, dass er keinen Schritt mehr alleine gehen konnte. Ich weiß noch, wie wir auf einer Landstraße nahe der slowakischen Hauptstadt unterwegs waren und der Papst seinen Wagen anhalten ließ, um eine Gruppe Gläubiger, die am Straßenrand standen, segnen zu können. Er versuchte zunächst vergeblich, die Hände vom Bischofsstab zu lösen, es gelang ihm erst, nachdem ihm sein Sekretär Don Stanisław Dziwisz dreimal auf die Hand geschlagen hatte, wobei der Papst vor Schmerzen aufschrie. Ich werde nie vergessen, wie die Fotografen im Gefolge sich entgeistert ansahen. Die Jungs waren alles gewöhnt, die fotografierten, ohne zu zögern, Formel-1-Rennfahrer in brennenden Autos, mit der einzigen Sorge, dass das Bild unscharf sein könne. Einige von ihnen hatten Kriegseinsätze erlebt und waren dem Tod nahe gewesen. Diese hartgesottenen Burschen wollten nur eines: gute Bilder, weil sie damit viel Geld verdienen konnten. Dieses Bild des Papstes, dessen Sekretär ihm auf die Hände schlägt, wäre ein solches Bild gewesen, das viel Geld gebracht hätte. Es würde das ganze Elend dieses Mannes zeigen. Aber ich werde niemals vergessen, wie die Fotografenkollegen die Objektive sinken ließen und die erniedrigende Szene nicht fotografierten, aus Respekt vor Karol Wojtyła.
Ich habe mich oft gefragt, was eigentlich der Grund für diese Art der Verehrung für diesen Papst war. Das Nachrichtengeschäft ist hart, alle Kollegen hatten, wie auch ich, die Erfahrung gemacht, dass die Kollegen, die rücksichtslos waren, die andere aus dem Job drängten, weiterkamen, Karriere machten, aufstiegen. So waren die Spielregeln. Aber dann war etwas Unglaubliches passiert: Karol Wojtyła war gekommen und vermochte uns zu zeigen, dass letztendlich die selig sind, die barmherzig sind, und nicht die, die nur daran denken, andere fertigzumachen und zu gewinnen. Dass die selig sind, die Frieden stiften, und nicht die, die in den Fabriken, Werkstätten und Büros »Krieg« führen und anderen den Job wegnehmen. Er konnte das auf solche Weise demonstrieren, dass wir es ihm abgekauft haben, und auf einmal haben wir gemerkt, dass stimmte, was er sagte, und wie sehr uns das trösten konnte. Deshalb hätten wir alles für ihn getan, vor allem in der Zeit, als er nicht mehr konnte.
Jeder von uns hatte seine eigene Geschichte, die ihn verändert und die dazu geführt hat, dass wir uns, wenn es nötig war, vor Karol Wojtyła stellten. Meine Geschichte hatte in Afrika gespielt. Papst Johannes Paul II . sollte eine Kirche einweihen, die irgendwo im Nichts in der Steppe gebaut worden war. Als Johannes Paul II . mit dem Bischof, der Delegation, den Tausenden Gläubigen bei der Kirche eintraf, ging er nicht hinein. Neben dem Gotteshaus standen noch die Bretterbuden der Bauarbeiter, sie hatten nicht rasch genug abgebaut werden können. Vor einer dieser Hütten, die aus Bauschutt errichtet worden waren, stand eine leere Obstkiste. Johannes Paul II . nahm sie, drehte sie um, setzte sich darauf und wartete. Alle waren völlig überrascht.
Dann steckte ein Kind seinen Kopf neben einer groben Wolldecke hervor, mit der der Eingang einer Hütte zugehängt war, um zu schauen, wer da saß. Plötzlich tauchten vier oder fünf weitere Kindergesichter auf, die Kleinen liefen aus der Hütte heraus, hängten sich an den Papst, dessen weiße Soutane in Rekordzeit schmutzig wurde. Dann kam ein Mann aus der Hütte, der nicht begriff, was da vorging. Johannes Paul II . hatte einen Mitarbeiter zu seinem Papamobil geschickt und eine Flasche Limonade holen lassen. Wojtyła setzte sich zu dem Bauarbeiter, teilte mit ihm die Limonade und fragte ihn: »Jetzt, da die Kirche fertig ist, was werden Sie da tun?« Der Mann antwortete, dass es sehr schwer werden würde, eine neue Arbeit zu finden, und dass er sich große Sorgen mache, wie er seine Kinder jetzt ernähren solle. Die Kinder kletterten auf dem Papst herum, spielten mit der Soutane
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