Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)
schrieb von einer »brüderlichen Liebe […] in einem so speziellen Moment« und wünschte dem Papst noch »viele Jahre des Lebens«. Es wird in die Geschichte der römisch-katholischen Kirche eingehen, dass dieser Papst Benedikt XVI . von einer verfeindeten Kirche mehr Wertschätzung erfuhr als von seinen eigenen Leuten.
In Rom geschah nun etwas, was nach dem Tod von Papst Johannes Paul II . undenkbar gewesen wäre: Mehrere Kardinäle kritisierten offen und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen die Amtszeit von Papst Benedikt XVI . Für den Vatikan war das ein unerhörtes und noch nie dagewesenes Verhalten. Die Härte der Kritik an dem zurückgetretenen Papst aus Deutschland schien eines auszudrücken: Das Kardinalskollegium war der Überzeugung, dass der Heilige Karol Wojtyła den richtigen Weg gegangen war, um die Kirche zu lenken, und Joseph Ratzinger eben nicht einfach einen anderen Weg, sondern den falschen. Der Kardinal von Sydney, George Pell, hatte dem Sender Seven Network in ungewöhnlich scharfer Form erklärt, dass die Fähigkeit, die Kirche zu regieren, nicht zu der starken Seite von Papst Benedikt XVI . gehört habe. Damit nicht genug, hatte Pell gleich noch einmal nachgelegt und den Rücktritt des Papstes heftig kritisiert, obwohl der Vatikan gerade diesen Schritt als so unendlich weise, mutig und demütig gefeiert hatte. Pell hingegen kritisierte, dass die Abdankung das Amt des Papstes »destabilisiert« habe. Einen Fall Joseph Ratzinger dürfe es nicht wieder geben. Der nächste Papst müsse die Tradition respektieren, was den Glauben betreffe wie auch die moralischen Fragen.
Wie bitte? Nur wenige Stunden nach dem Aufsehen erregenden Rücktritt von Papst Benedikt XVI . wirft ein Kardinal dem Papst vor, die Traditionen der katholischen Kirche missachtet zu haben? Was für ein kolossaler Unterschied zum Ende der Amtszeit von Johannes Paul II .! Damals hatte die katholische Kirche vor allem eines organisiert: Dankgottesdienste, um ihre Freude darüber auszudrücken, dass Gott der Kirche einen so bedeutenden Papst geschenkt hatte. Nach dem Tod Karol Wojtyłas genoss die katholische Kirche mit angehaltenem Atem den enormen Respekt und die Ehrerbietungen, die weltweit selbst Nichtkatholiken dem Jahrtausendpapst Karol Wojtyła entgegengebracht hatten. Die katholische Kirche war es eher gewöhnt gewesen, dass sich nur Katholiken für das Schicksal eines Papstes interessieren und deshalb auch nur Katholiken das Ende seiner Amtszeit und seinen Tod betrauern. Doch das Phänomen Karol Wojtyła änderte alles. Drei US -Präsidenten – und keiner von ihnen war katholisch – knieten am Sarg von Johannes Paul II .: George Bush senior, George W. Bush und Bill Clinton: Und das, obwohl der Papst zu Lebzeiten alle drei wegen der Kriege der USA und der Art ihrer Machtausübung heftig kritisiert hatte. Die Totenmesse für Karol Wojtyła hält bis heute den Weltrekord für die größte Ansammlung von Staatschefs. Mehr als 200 Staatsoberhäupter oder Regierungschefs und -vertreter kamen nach Rom. Ein Gigant hatte Geschichte geschrieben.
Der heftig umstrittene Rücktritt Papst Benedikts XVI . und vor allem dessen völlig unspektakulärer Abschied erschütterten den Vatikan hingegen auf negative Weise. Die Kardinäle ließen keinen Zweifel daran, dass sie einen Mann suchen mussten, der dem Profil des Karol Wojtyła entsprach, und nicht einen Theologen wie Joseph Ratzinger, der ja gar nicht hatte Papst werden wollen. Zum Abschied des Joseph Ratzinger war kein einziger Staats- und Regierungschef gekommen. Nicht einmal die deutsche Kanzlerin Angela Merkel tauchte auf. Der einzige Politiker von Rang, der nach Rom fand, war Horst Seehofer, der war wenigstens Ministerpräsident von Bayern.
Dass ausgerechnet Kardinal Pell den Papst so heftig kritisiert hatte, mochte auch mit seinem unschönen Streit mit Benedikt XVI . zu tun gehabt haben. Der hatte Pell einen überaus attraktiven Job angeboten, den Chefsessel der Kongregation für die Bischöfe. Dieser Posten war unter den Kardinälen sehr begehrt. Als Chef der Bischöfe wurde man so etwas wie ein Vizepapst, weil man dann zusammen mit dem Papst verantwortlich war für die Besetzung der über 5000 Bischofsämter der Welt. Wer dieser Kongregation vorstand, kontrollierte die Weltkirche, hatte das gesamte Management der Kirche weltweit unter sich. Man konnte Karrieren katapultartig fördern oder sie im Sande verlaufen lassen. Papst Benedikt XVI . hatte Kardinal Pell bereits
Weitere Kostenlose Bücher