Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)
bezahlen konnten. Dass ausgerechnet im Staat des Papstes eine solche Schlamperei herrschte, verärgerte die Kardinäle sehr. Die Kirchenregierung, die Kurie, genoss also keine allzu große Wertschätzung unter den auswärtigen Kardinälen.
Die Debatten waren nun an diesem Dienstag endgültig vorbei. Jetzt sollte endlich gewählt werden, die Missa pro eligendo Romano Pontifice um 10 Uhr beginnen. Niemand erwartete an diesem Vormittag eine erwähnenswerte Predigt oder eine Überraschung beim Wahlgang am Nachmittag, aber dann sorgte der Dekan der Kardinäle, Angelo Sodano, während der Messfeier für Aufsehen.
Sodano hatte an diesem Vormittag eine letzte Chance, noch einmal Politik zu machen, und er nutzte sie. Der Dekan der Kardinäle kann einem Kardinal durchaus ins Gewissen reden, das muss er sogar, wenn er es für nötig erachtet. Aber einem Papst kann auch er keine Vorschriften machen. Er muss ihm gehorchen. Diese heilige Messe in der Sedisvakanz aber ist für Sodano eine letzte Gelegenheit, dem künftigen Papst noch etwas mit auf den Weg zu geben, denn noch ist der nur ein Kardinal und muss dem Dekan zuhören.
Die Überraschung ist gut verpackt. Die Menge hat zunächst den Eindruck, dass der Star, der von den 115 wahlberechtigten Kardinälen und der Menge der Gläubigen bejubelt werden soll, einer ist, der gar nicht in der Peterskirche weilt. Es sieht alles nach einer liebevollen Huldigung an den zurückgetretenen Papst aus. Gleich zu Beginn seiner Predigt erinnert Angelo Sodano an Papst Benedikt XVI . und dankt für das »leuchtende Pontifikat«, »das Leben und Wirken des 265. Nachfolgers Petri, des geliebten und ehrwürdigen Papstes Benedikt XVI .«.
Die Menge klatscht minutenlang Beifall, sowohl in der Basilika als auch draußen auf dem Platz. Dann jedoch wird es eisig: Alle, die an himmlische Vorboten glauben, fragten sich, warum der liebe Gott ausgerechnet jetzt, während dieser feierlichen Messe, einen so kalten Hagelschauer auf den Petersplatz niederregnen ließ, der die mehreren zehntausend Gläubigen auf dem Platz arg frösteln machte. Dann holt Sodano vor der fassungslosen Menge zu etwas aus, was nichts anderes ist als eine schmerzhafte Ohrfeige für den angeblich so hoch verehrten Papst Benedikt XVI .
Zunächst erinnert der Kardinal an die wundervolle Kernbotschaft des Christentums: »Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe« (Johannes 15, 12). Das sieht anfangs ganz harmlos aus, doch dann legt Sodano los: »Der Text knüpft damit auch an die erste Lesung aus dem Propheten Jesaja über das Handeln des Messias an, um uns daran zu erinnern, dass die grundlegende Haltung der Hirten der Kirche die Liebe ist. Es ist jene Liebe, die uns dazu veranlasst, das eigene Leben für die Brüder und Schwestern hinzugeben. So sagt uns in der Tat Jesus: ›Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt‹ [Johannes 15, 13]. Die grundlegende Haltung jedes guten Hirten ist es also, sein Leben hinzugeben für die Schafe [vgl. Johannes 10, 15]. Dies gilt vor allem für den Nachfolger Petri, den Hirten der universalen Kirche. Denn je höher und universaler sein Amt ist, desto größer muss die Liebe des Hirten sein. […] Liebe Mitbrüder, beten wir, damit der Herr uns einen Papst schenkt, der großherzig diese hohe Sendung erfüllt.«
Man muss nun nicht gerade Theologie studiert haben, um zu verstehen, was Sodano meinte. Der Papst muss sein Leben hingeben, nicht in Rente gehen. Da Päpste seit gut einem Jahrtausend nicht mehr mit dem Schwert in den Krieg ziehen, um ihr Leben für die Schafe hinzugeben, ist nicht schwer zu erraten, welche Möglichkeiten einem Papst bleiben: Er muss sein Leben aufopfern bis zum Tod. Sodano sagt damit nichts Geringeres, als dass es einen Fall Ratzinger nie wieder geben dürfe. Sein Rücktritt sei ein enormer Fehler gewesen, der künftige Papst dürfe auf keinen Fall in die Fußstapfen des Joseph Ratzinger treten.
Sodano knüpfte damit an die bereits erwähnte Erklärung George Kardinal Pells aus Sydney an, der unmittelbar nach dem Rücktritt Benedikts XVI . behauptet hatte, dass dieser damit dem Amt des Papstes geschadet habe. Das schien wohl auch die Mehrheit der Kardinäle zu denken.
Am Nachmittag zogen die Kardinäle pünktlich um 16.30 Uhr in die Sixtinische Kapelle ein. Dort erwarteten vier lange Tische die Kardinäle, dort lagen die Zettel bereit, die aus der Wahlordnung Papst Johannes Pauls II . den Aufdruck trugen:
Weitere Kostenlose Bücher