Fratze - Roman
wir zerstören, als für das, was wir erschaffen .
Der Interstate 5 schlängelt sich in der Ferne. Von hoch oben auf der Space Needle sind die nach Süden gehenden Fahrspuren rote Lichtschläuche und die Spuren Richtung Norden weiße Lichtschläuche. Ich nehme mir eine Karte und schreibe:
Ich liebe Seth Thomas so sehr, dass ich ihn zerstören muss. Ich überkompensiere, indem ich die Queen Supreme anbete. Seth wird mich nie lieben. Niemand wird mich je wieder lieben .
Brandy wartet darauf, die Karte in Empfang zu nehmen
und vorzulesen. Brandy wartet darauf, der Welt meine schlimmsten Ängste vorzulesen, aber ich gebe ihr die Karte nicht. Ich küsse sie selbst mit den Lippen, die ich nicht habe, und lasse sie mir vom Wind aus der Hand reißen. Die Karte fliegt hoch, immer höher den Sternen entgegen, dann fällt sie nach unten und landet im Fangnetz.
Während ich beobachte, wie sich meine Zukunft im Fangnetz verfängt, liest Brandy eine weitere Karte von Seth vor.
Wir sind alle selbstkompostierend.
Ich schreibe auf einer anderen Karte aus der Zukunft, und Brandy liest vor.
Wenn wir nicht wissen, wen wir hassen sollen, hassen wir uns selbst .
Eine Aufwärtsströmung hebt meine schlimmsten Ängste aus dem Fangnetz und trägt sie davon.
Seth schreibt und Brandy liest.
Man muss sich immer wieder selbst recyceln .
Ich schreibe, und Brandy liest.
Nichts an mir ist original. Ich bin das Ergebnis der vereinten Anstrengungen von allen, die mir je begegnet sind .
Ich schreibe, und Brandy liest.
Der, den du liebst, und der, der dich liebt, sind nie, niemals dieselbe Person .
Springt zu uns, wie wir auf einem TWA-Rückflug vom Mond wieder nach Hause gleiten. Brandy und Seth und ich tanzen unseren Partytwist in dem schwerelosen Go-Go-Käfig-Fahrstuhl aus Messing und Glas. Brandy macht eine große, mit Ringen besetzte Faust und sagt dem in Polyester gehüllten Service-Androiden, der uns
Einhalt zu gebieten versucht, er solle lieber mal abchillen, falls er nicht beim Wiedereintritt draufgehen wolle.
Zurück auf der Erde im einundzwanzigsten Jahrhundert, wartet unser gemieteter Lincoln mit seinem blauen Sarginnenraum darauf, uns zu einem netten Hotel zu bringen. Auf der Windschutzscheibe klebt ein Strafzettel, aber als Brandy losstürmt, um ihn zu zerreißen, ist der Strafzettel plötzlich eine Postkarte aus der Zukunft.
Vielleicht meine schlimmsten Ängste.
Damit Brandy sie Seth vorlesen kann. Ich liebe Seth so sehr, dass ich ihn zerstören muss …
Auch wenn ich überkompensiere, wird mich nie wieder jemand haben wollen. Seth nicht. Meine Eltern nicht. Man kann keinen küssen, der keine Lippen hat. O liebe mich, liebe mich, liebe mich, liebe mich, liebe mich, liebe mich, liebe mich, liebe mich, liebe mich. Ich will auch alles sein, was du dir von mir wünscht.
Brandy Alexander, ihre große Hand hebt die Postkarte hoch. Die Queen Supreme liest sie für sich, stumm, dann schiebt sie die Karte in ihre Handtasche. Prinzessin hoch zwei, sie sagt: »Wenn wir so weitermachen, kommen wir nie in der Zukunft an.«
9
S pringt zu dem Tag, an dem Brandy eine Handvoll schimmerndes Nichts in die Luft über meinem Kopf wirft und die Praxis der Sprachtherapeutin um mich herum plötzlich zu Gold wird.
Brandy sagt: »Das ist Baumwollvoile.«
Sie streut eine weitere Handvoll Nebel, und die Welt verschwimmt hinter Gold und Grün.
»Georgetteseide«, sagt Brandy.
Sie wirft eine Handvoll Glitzerndes hoch, und die Welt, Brandy, sitzt da, ihren geflochtenen Nähkorb geöffnet auf dem Schoß. Wir beide allein, eingeschlossen in der Praxis der Sprachtherapeutin. Das Kätzchen-Poster an der Betonwand. All das ist plötzlich weichgezeichnet wie die Nahaufnahme eines Filmstars, alle scharfen Kanten entfernt oder verwischt hinter Grün und Gold, durchdrungen von explodierten Teilchen aus Neonlicht.
»Schleier«, sagt Brandy, während die Farben sich über mich legen. »Du musst aussehen, als hättest du ein Geheimnis«, sagt sie. »Wenn du es mit der Außenwelt aufnehmen willst, musst du darauf achten, dein Gesicht nicht zu zeigen, Miss St. Patience.«
»Du kannst überall auf der Welt hingehen«, redet Brandy weiter und weiter.
Du darfst nur die Leute nicht wissen lassen, wer du wirklich bist.
»Du kannst ein völlig normales, unauffälliges Leben führen«, sagt sie.
Du darfst nur niemanden nahe genug an dich heranlassen, dass er die Wahrheit erkennt.
»Mit einem Wort«, sagt sie. »Schleier.«
Macher-Prinzessin, die sie
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