Frau an Bord (Das Kleeblatt)
Teekanne in die Kombüse gefegt kam, blitzten ihre Augen koboldhaft. „Warum fragst du? Meinst du, ich soll sie heute Abend einladen?“
„Wen?“
„Ach, Ossi, mein liebes Köchlein, kleiner Nix-Checker. Zufällig weiß ich, dass du nicht halb so dumm bist, wie du dich anstellst. Und aus ebendiesem Grund frage ich mich einigermaßen verzweifelt, wo du mit deinen Gedanken bist. Ich meinte die Funkassistentin. Susanne. Ich habe den Eindruck, unsere Nautiker und Ingenieure nehmen sie nicht für voll. Und zur Mannschaft gehört sie als künftiger Offizier auch nicht wirklich, deswegen habe ich mir überlegt, der netten Kleinen das Eingewöhnen an Bord zu erleichtern, indem wir sie ein wenig unter unsere Fittiche nehmen. Schließlich hast du als Koch ebenfalls einen gewissen Sonderstatus an Bord inne, sodass ihr beide quasi auf einer Stufe der Hierarchie steht. Und dann könnten wir gleich die Aufsteigerkiste zur Sprache bringen, weil ihr das ganz sicher noch keiner verklickert hat. Was meinst du, kriegen wir zwei Unschlagbaren das in den Griff?“
Ossi schaute überrascht auf. „Hat sie sich bei dir über jemand bestimmten beschwert? Sie ist doch gerade erst aufgestiegen.“
Nicht zum ersten Mal verblüffte ihn Sissis ausgeprägtes Wahrneh mungsvermögen. Allerdings hatte er die Tränen auf dem blassen Gesicht der kleinen Funkerin nicht vergessen. Niemals würde er diese kullerrunden, in Tränen ertrinkenden Augen und das hilflose Zittern ihres zarten Körpers vergessen!
„ Gerade erst? Ossi, das war vor zwei Tagen“, erinnerte ihn Sissi mit nachsichtigem Tadel in der Stimme. „Du solltest dich mehr unters Volk mischen, dann würden dir nicht andauernd die wahrhaft wichtigen Dinge im Leben entgehen. Selbstverständlich hat sie nichts gesagt. Das sieht man eben.“
„Du Küken? War das nicht erst gestern, als ich eine frische Eierschale hinter deinem Ohr hervorgeholt habe?“
Tatsächlich war Simone Schill erst einundzwanzig Jahre alt . Allerdings fuhr sie bereits das dritte Jahr zur See und der Koch ahnte, welche Fülle an Erfahrungen sie in dieser Zeit gesammelt hatte. Es gab kaum jemanden, der ihr in Bezug auf zwischenmenschliche Beziehungen in Extremsituationen etwas vormachen konnte. Lediglich ihm hatte sie bislang anvertraut, eine Ausbildung zur Psychotherapeutin ins Auge gefasst zu haben, wenn sie sich in spätestens zwei Jahren von der Seefahrt verabschieden müsste. Ihnen beiden war klar, dass sie anderenfalls den Absprung nie schaffen würde, um sich an ein Leben an Land zu gewöhnen. Es war ein offenes Geheimnis, dass sich Seeleute nach einem halben Dutzend Jahren Fahrenszeit nicht mehr an Land zurechtfanden, ohne dabei massiv Federn zu lassen.
Und außerdem passten Frauen und Seefahrt einfach nicht zusammen.
„Und, was nun? Ja oder ja? Wollen wir heute nach Feierabend eine Flasche köpfen und dann, selbstverständlich ganz ohne jede Absicht und Hintergedanken …“
Angefüllt mit Zweifeln blickte Ossi der Stewardess nach, die ihren Satz noch nicht beendet hatte und schon wieder aus der Kombüse gestoben war. Ohne Absicht und Hintergedanken? Simone tat nie etwas aus Versehen und erst recht nichts gedankenlos. Was also hatte sie diesmal ausgeheckt? Sie sollte eigentlich wissen, wie wenig er von solchen Zufällen hielt. Und die Funkerin machte ebenfalls nicht den Eindruck, als wäre sie mit Blindheit geschlagen.
Andererseits, wenn es so war, wie Simone behauptete, dann sprach nichts dagegen, wenn er seinen bescheidenen Teil dazu beitrug, dass sich die Funkerin an Bord eingewöhnte.
Fast hätte er sich in den Finger geschnitten, als ihm dieser Gedanke durch den Kopf geisterte. Ausgerechnet er! Der introvertierte Koch, den die meisten für schwul, zumindest jedoch für hochgradig verklemmt hielten, weil er sich nicht ebenfalls wie ein Geier auf jede halbwegs brauchbare Frau stürzte, die gerade aufstieg. Er, der seit Monaten mit Simone befreundet war und noch immer nicht die geringste Anstrengung unternommen hatte, sie in sein Bett zu zerren. Ausgerechnet seinem Freund verdankte er den Witz, der momentan in der Reederei die Runde machte. Demnach hätte er zwar davon gehört, dass zwei Geschlechter existierten, doch da er nichts auf Gerüchte gab, sei er nicht sicher, ob es wirklich an dem war.
Schon komisch, wie schnell eine schöne Frau das Hirn eines Mannes in ein Flusensieb verwandeln konnte.
Wütend hackte er die Zwiebeln klein, als wären es all die Lästermäuler, denen er nie eine
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