Frau an Bord (Das Kleeblatt)
davongerannt und in den Aufbauten verschwunden.
Mit einem langen Zug schüttete der Decksmann das dunkle Gemisch aus Kaffee und Weinbrand in sich hinein. Dass er im nächsten Moment das Gleichgewicht verlor und rücklings über die Bank flog, war nur zum Teil der Unmenge Alkohol geschuldet, die er im Laufe dieser langen Nacht konsumiert hatte. Als er sich fluchend aufrappelte und über die Beule am Hinterkopf rieb, krängte das Schiff unter seinen Füßen hart nach Steuerbord und blieb auf sechzig Grad liegen.
„Wow!“, entfuhr es ihm.
Er stieß seine Faust in die Luft und brüllte vor Schmerz laut auf. Teufel noch mal! Wie konnte er diese dämlichen Schnitte in den Handflächen vergessen! Aber der Triumph ließ ihn den quälenden Schmerz schnell vergessen. Ja, er hatte Recht gehabt und seinen Beruf eindeutig verfehlt. Von wegen Klempner! Scheiß auf Super-Mario! In seinem nächsten Leben würde er alles anders machen und von Anfang an die Seefahrtsschule ins Visier nehmen. Nie wieder würde er versuchen, ein anderer als er selber zu sein. Niemand sollte ihn jemals wieder bevormunden, seine Wünsche und Träume belachen oder ihn daran hindern, sie zu verwirklichen.
Unsicher wankte er durch die Monkey-Messe, das offenstehende Schott fest im Visier, als würde ansonsten die Gefahr bestehen, dass er sich verlief. Während er darüber nachdachte, ob es tatsächlich lohnte, die sperrige Rettungsweste mitzuschleppen, folgte die nächste Durchsage des Kapitäns. Svend bildete sich nicht bloß ein, jetzt überdeutlich die Angst in der Stimme des Alten herauszuhören. Nackte Angst und Hilflosigkeit.
„Alles in die Boote! Funker SOS!“
Svend Berner machte eine wegwerfende Handbewegung und verbesserte laut schreiend den Kapitän: „Nein, verdammt! Dilettantischer Traumtänzer, du musst die Bootsrolle auslösen! Die Boots-rol-le! Wer hört schon auf dein lächerliches Quaken?“ Zornig stampfte er mit dem Fuß auf und stolperte über die nächste Bank, die ihm nicht rechtzeitig ausweichen wollte. „Wo bloß bist du zur Schule gegangen?“
Der Decksmann kicherte benebelt vom Alkohol und rülpste gleich darauf respektlos. „Weiter als bis zum dritten Ast in der Baumschule hast du es wohl nie geschafft? Stümper! Deine Lehrer rotieren entsetzt in ihren Gräbern, wenn sie mitkriegen, welchen Mist du verzapfst. Lass dich einkochen und gib endlich das Ruder ab!“
Als Ossi nach der ersten Durchsage von seinem unbequemen Platz in der Monkey-Messe aufgesprungen war, um auf das Brückendeck zu laufen, hatte ihn einzig ein Gedanke getrieben: „Alle Hände werden gebraucht!“
Er hatte nicht die geringste Vorstellung davon, was er tun könnte, um das drohende Unheil abwenden zu helfen. Aber der Kapitän hatte einen Befehl erteilt. Und Adrian Ossmann war es gewohnt, Befehle auszuführen. Ohne jede Frage nach deren Sinn. Nach möglichen Folgen.
D ieses Mal allerdings spukten ihm zusätzlich Berners Worte durch den Kopf: „Die Schotten im Laderaum sind gebrochen. Wir werden kentern.“
Er kämpfte sich gerade den Niedergang n ach oben, als er die nächste Aufforderung des Alten über den Lautsprecher im Gang hörte: „Alles in die Boote!“
Noch während Ossi aus einem Impuls heraus schrie: „Die Mädchen!“, neigte sich das Schiff ruckartig weiter nach Steuerbord. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte den Niedergang hinab.
Blinzelnd öffnete er die Augen. Wie aus dem Boden gestampft, stand Svend Berner breitbeinig über ihm. Kopfschüttelnd streckte der seine verbundene rechte Hand aus, während er sich mit der linken an seinem Rettungskragen festklammerte.
„Du hättest dich erst um dich und dann um die Mädchen kümmern sollen, Köchlein. Nicht alle Befehle sind es wert , blindlings befolgt zu werden. Wofür trägst du deinen hübschen Schädel zwischen diesen unheimlich breiten Schultern? Doch nicht etwa bloß zu dem einen Zweck, blonden Mädchen den Kopf zu verdrehen? Gebrauche deinen Verstand, Mann!“
Ossi knurrte böse und bedachte Svend mit einem, wie er hoffte, vernichtenden Blick, doch da er keine besondere Übung in derartigen Blicken hatte, war er sich nicht sicher, ob der Versuch gelungen war. Vorsichtig bewegte er die Schultern, anschließend die Arme und den Kopf. Es ging mühelos. Demnach hatte er bei seinem Sturz keinen ernsthaften Schaden genommen.
Berner ließ sich von Ossis finsterer Miene nicht beeindrucken. „Na, komm“, drängte er. „Hoch mit dir.“
Stöhnend richtete sich der
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