Frau an Bord (Das Kleeblatt)
mehr ein heiseres Krächzen. Nirgendwo konnte sie den Decksmann entdecken. Wo? Wo waren die anderen, das Boot, und vor allem Svend? Er hatte eben zu ihr gesprochen. Sie war überzeugt, dass er ganz dicht bei ihr sein musste. Sie konnte es fühlen. Ihr Herz raste vor Angst und Anstrengung. Panik stieg in ihr auf, weil ihr klar wurde, dass niemand in der Nähe war. Sie war mutterseelenallein! Ein kleiner Flugrattenschiss mitten im gigantischen Ozean.
Unsinn, das konnte nicht sein! Die Männer hatten Rettungskragen um genau wie sie. Und an den Kragen befanden sich Erkennungsleuchten und eine Schrillpfeife. Irgendwo musste jemand zu sehen oder zu hören sein.
Verzweifelt kämpfte sie darum , sich von ihrer Furcht nicht überwältigen zu lassen. Sie zitterte in ihren Kleidern, die ihr schwer am Körper klebten. Brust und Hals schmerzten bei jedem tiefen Atemzug und ihre Lunge brannte wie Feuer von dem Salzwasser, das sie unfreiwillig geschluckt hatte. Es schmeckte irgendwie … eigenartig, fast wie … Sie fuhr sich über die rissigen Lippen. Das Wasser schmeckte nach Diesel! Ihr wurde übel bei dem Gedanken daran. Oh Gott, ihr Baby! Sie würgte verzweifelt.
Die Dünung warf die Frau vorwärts und zog sie wieder zurück. Schwimmen? Lächerlich! Sie hatte diesen entfesselten Naturgewalten nicht das Geringste entgegenzusetzen, war der gigantischen Kraft des Wassers hilflos ausgeliefert. Und sie war müde. Wie Betonklötze hingen Arme und Beine an ihrem Körper und waren längst ohne jedes Gefühl. Ihre Zähne klapperten laut aufeinander und übertönten beinahe das gespenstische Heulen des Sturms.
Sie musste das Rettungsboot f inden! Wenigstens eines hatten die Jungs zu Wasser gelassen und es konnte nicht einfach verschwunden sein. Sie musste in Bewegung bleiben, um nicht zu erfrieren. Wenn sie schwamm, würde sie das Rettungsboot finden.
Sehr gute Idee. Und in welche Richtung, bitteschön, willst du? WOHIN? schrie jede einzelne Faser ihres Körpers. Wo ist denn dieses verfluchte Boot, das du suchst? Hat es sich vielleicht unsichtbar gemacht und zeigt sich der bedauernswerten Prinzessin erst dann, wenn sie den Frosch küsst? Träum in Ruhe weiter. Und stell dich schon mal auf einen langen, tiefen Schlaf ein. Du bist allein. Frösche sind leider ausverkauft. Der Sog des sinkenden Frachters hat dein Boot mit auf den Meeresgrund gezerrt und unter sich begraben. Dir bleibt also nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
Sie hob den Kopf und fand nichts als Wasser. Ihre Suche nach dem Boot war in dieser undurchdringlichen Finsternis bestenfalls mit wirklichkeitsfern zu umschreiben. Und auch bloß, wenn man freundlich gesinnt war. Idiotisch war ein anderes Wort, das ihr einfiel.
Und dann tauchte es jeder Wahrscheinlichkeitsrechnung zum Trotz vor ihr auf. Wie aus dem Nichts hielt es direkt auf sie zu. Das Rettungsboot!
Angesichts der nahenden Rettung gingen Susannes bis aufs Äußerste angespannten Nerven durch. Sie geriet völlig aus der Fassung, weinte und lachte zugleich, tobte und winkte, obwohl ihr jeder einzelne Knochen und Muskel im Leib wehtat. Ungeachtet der greifbaren Nähe der Männer hielt sie grenzenlose Furcht im Würgegriff, man könnte sie wieder alleinlassen. Dabei hatten die Seeleute Susanne längst bemerkt und riefen ihr aufmunternde Worte zu, bis schließlich vier starke Arme sie packten und dichter zu dem rettenden Boot zerrten.
Erst da bemerkte sie, dass es kieloben auf dem Wasser lag, und erneut wollte sie der Mut verlassen. Unter diesen widrigen Bedingungen würden sie das Boot nicht aufrichten können und ohne Planken unter den Füßen würden sie die Nacht nicht überleben. Sie erinnerte sich an die Anweisung des Alten, die Laschings am Backbord-Rettungsboot zu lösen, weil er gehofft hatte, dadurch würde es beim Untergang des Schiffes freischwimmen. Toll gemacht! Da hatten sie nun ein Boot und trotzdem würden sie ertrinken.
Es waren so viele unerklärliche Dinge in dieser Nacht geschehen, dass sie nicht weiter darüber nach sinnen wollte. Unübersehbar war ebenfalls diese Rechnung des Rupert Frisko nicht aufgegangen. Durch die kaum nachlassende Dünung war das Rettungsboot gekentert. Ob es wenigstens das Floß von der Steuerbordseite geschafft hatte, rechtzeitig das Weite zu suchen?
Susann e krallte sich mit klammen Fingern an den Sicherheitsleinen fest, die rings um die Bordwand des Bootes liefen, doch wieder und wieder rutschten ihre verkrampften Hände ab, sodass sie davon trieb. Sie war
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