Frau an Bord (Das Kleeblatt)
können die Kerle ja nicht gekommen sein. Um diese Zeit geht kein Bus mehr nach Hause.“
Suse sah den Chief Mate winken. Kurz darauf rief er den anderen zu: „Das Wasser in diesen Breiten ist zwar nicht sehr kalt, trotzdem sollten wir versuchen, das Boot aufzurichten. Ich gäbe wirklich alles für festen Boden unter den Füßen. Außerdem brauchen wir Trinkwasser.“
„ Soweit ich mich erinnere, müssten auch Notsignalraketen dort unten sein.“ Botho schlug mit der Faust auf den kieloben liegenden Boden des Rettungsbootes. „Kein Schiff achtet in dieser Suppe auf eine Nussschale wie unsere. Selbst wenn die Jungs unseren Notruf gehört haben sollten, ohne die Leuchtraketen haben wir keine Chance, gesichtet zu werden.“
„Leute, geht zurück vom Boot und bleibt dicht zusammen“, forderte der Chief Mate in ruhigem Ton die Schiffbrüchigen auf.
„ Du musst das Seil loslassen, Suse. Wir können sonst das Boot nicht umdrehen. Und das müssen wir, um einigermaßen unbeschadet hier rauszukommen. Ich schwimme mit dir nur ein kleines Stück weg.“
J e mehr Botho auf sie einredete, desto fester klammerten sich ihre Finger an die Leine. Sie begann am ganzen Körper zu zittern und ihre Zähne klapperten so laut aufeinander, dass der Matrose erschrocken zu ihr blickte.
„Suse, bitte . Wir bleiben alle zusammen, sodass du nicht abtreiben kannst. Du vertraust mir doch? Gib mir deine Hand und halte dich an mir fest. He, guck mich an, mach schon! Du kennst sicher die Geschichte von Loths Frau? Dreh dich nicht um, sondern schau in meine Augen, Kleines. Welche Farbe haben sie? Brauchst du etwa eine Brille?“
L angsam zog er sie ein Stück vom Boot weg und schwamm mit ihr zum Chief Mate. „So, meine Lütte, gib dem Chief deine Hand, damit er auf dich aufpasst. Ich muss mich um das Boot kümmern. Wer sonst verfügt über Riesenkräfte wie ich?“
So sehr sich der Vollmatrose und die beiden Lehrlinge während der nächsten Minuten auch mühten, sie schafften es nicht, das Rettungsboot aufzurichten. Immer wieder kippte es zurück, warf der Sturm die Männer auf dem Bootsrumpf wie Spielzeug umher, bis sie resigniert aufgaben.
„Das war ’s wohl, wenn wir nicht … Selbstmord begehen wollen. Es hat … keinen Sinn. Wir packen es nicht.“
Botho hängte seinen rechten Arm durch die Schlaufe der Sicherheitsleine und keuchte schwer. Entmutigt ließ er den Kopf sinken und versuchte Kraft zu schöpfen, bevor er sich zwei Meter weiter hangelte. Dann packte er das Seil links und rechts neben Suses Händen und nahm sie damit schützend in seine Mitte.
„Wie geht ’s meiner Kleinen?“, erkundigte er sich und lächelte ihr aufmunternd zu.
Als sei sie blind und taub, ging ihr st arrer Blick durch ihn hindurch. Das Gefühl süßen Friedens trug sie über das Getöse der aufgewühlten See, die eisige Kälte und die Schmerzen in ihren lädierten Knochen. Als die nächste Woge über ihnen zusammenbrach, vergaß sie, die Luft anzuhalten. Es hatte keine Bedeutung, ob sie ertrank oder erfror oder tatsächlich ein Hai genüsslich an ihrem Fuß knabberte. Das Wasser hatte ihren Willen weggeschwemmt. Mit erhobenen Armen ließ sie sich davon treiben.
Und wurde von unerbittlichen Händen zurück an die Oberfläche gezerrt. Während sie das verschluckte Salzwasser auswürgte, hörte sie Botho grollen: „Himmelherrgott, lass dich nicht so gehen! Ich schwöre dir, dass ich dich umbringe, wenn du vor meinen Augen ertrinkst! Das kannst du mir nicht antun, nicht jetzt, wo wir es beinahe geschafft haben.“
Sie registrierte noch, dass er sie entsetzt anstarrte, dann wurde ihr schwarz vor Augen, bis Botho sie erneut wach rüttelte.
„Wir müssen versuchen, auf das Boot zu klettern, damit wir nicht auskühlen. Genügend Platz ist für uns. Und wenn wir dicht zusammenrücken und uns gegenseitig festhalten, sind wir dort oben allemal sicherer als im Wasser.“
Sie braucht en eine Ewigkeit, um die schwer verletzten Seeleute auf das gekenterte Boot zu hieven. Die einzige Frau unter den Geretteten wurde mittschiffs auf dem Kiel von den Männern flankiert. Irgendwann ergriffen Susanne Mattigkeit und ein trügerisches Gefühl von Sicherheit. Sie spürte weder ihre Füße noch Beine, selbst die Schmerzen in der Schulter verschwanden. Nichts blieb, wie es war. Lediglich Bothos Hände, die sie umklammert hielten, und sein warmer Atem auf ihrem Gesicht gaben ihr die Gewissheit, noch am Leben zu sein. Sie störte sich nicht einmal daran, Jons Linke
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