Frau Bengtsson geht zum Teufel
gesagt. Mit einer Aussage des Herrn Lama allerdings tat sich Frau Bengtsson schwer, nämlich dass man dankbar sein sollte, wenn jemand einem etwas antat. Weil man sich dann in Geduld üben konnte. So weit wollte Frau Bengtsson nicht gehen. Genau genommen hatte Jesus etwas sehr Ähnliches gesagt. Vielleicht war sie ein Zwischending. Chruddhist?
Nein, entschied sie. Wenn irgendeine Religion in ihr steckte, dann die christliche. Schon der Gedanke, eine Figur anzubeten, die den größten Teil ihres Lebens unter einem Bodhibaum sitzend zugebracht hatte, war wesentlich weniger verlockend als der christliche Widerspruch. Gott, und Jesus als eine Art Gott, das war viel theatralischer.
Der liebe Vater im Himmel gab mehr Sicherheit als ein erleuchteter Sonderling unter einem Baum. Der christliche Gott war väterlich, während Siddharta Gautama bestenfalls brüderlich war. Außerdem war sie selbst kulturell bedingt mit christlichen Traditionen aufgewachsen.
Aha.
Also war sie vielleicht doch Christin. Nicht der schlechteste Ausgangspunkt, falls sie ihren Glauben auf der Suche nach Rakelscher Ausgeglichenheit vertiefen wollte.
Während sie Kaffee kochte, stellte sie sich in Gedanken einem Fremden vor.
Guten Tag. Frau Bengtsson. Hausfrau. Christin.
Doch, das könnte funktionieren.
Hej, hej. Ich bin Christin.
Hallöchen! Ich heiße Frau Bengtsson, und ich glaube an Gott.
Hallo, hallo. Ich? Ja, ich bin Christin.
Aber da wurde der fiktive Fremde plötzlich indiskret und bat sie, dies näher zu erklären. Wie bitte, Christin?
Wie bitte, wie bitte?, dachte Frau Bengtsson verärgert. Christin! Punkt.
Jesus und Weihnachten und Ostern und das Kreuz und Adam und Eva und all das.
Glauben Sie etwa an Adam und Eva und die ganze Schöpfungsgeschichte?, fragte ihr Phantasiegesprächspartner.
Äh … Jein. Oder nein, das tat sie nicht, musste sie zugeben.
Teufel auch.
Konnte man Christ sein, ohne daran zu glauben?
Sie trug eine Tasse Kaffee auf die Veranda, stellte sie aufs Geländer und winkte ihrem Mann, damit er eine wohlverdiente Pause machte. Mit Schweißperlen auf der Stirn kam er zu ihr.
»Danke, Liebling. Hoffentlich ist bald Winter, damit ich nicht mehr so oft mähen muss. So eine Dreckarbeit«, sagte er und trank einen Schluck, nachdem er ihr einen verschwitzten Kuss auf die Wange gedrückt hatte.
»Ja«, antwortete sie geistesabwesend und bemerkte, dass auch Herr Rubin endlich gemäht hatte. »Liebling, glaubst du an Adam und Eva, wie es in der Bibel steht? Dass Gott die Welt so erschaffen hat?«
»Was? Nein. Ich glaube, dass ich nächstes Jahr einen Aufsitzmäher kaufen muss. Bestimmt finde ich bei eBay einen günstigen gebrauchten«, antwortete Herr Bengtsson. »Dieses Schiebeding macht mich fertig.« Er stellte seine Tasse ab. »Die letzte Bahn«, verkündete er und widmete sich wieder dem Rasenmäher. Sie hatten miteinander geredet – jeder über das, was ihn beschäftigte.
Frau Bengtsson ging in die Küche zurück und faltete die Hände um die Kaffeetasse. Der Sonntag war einer der zwei Tage pro Woche, an denen sie sich echte Zigaretten anstelle von Nikotinkaugummis gönnte (der andere war Freitag oder Samstag, je nachdem, was sie vorhatten), also zündete sie sich eine an und nahm einen tiefen, genießerischen Zug.
Was genau steht da eigentlich drin?, fragte sie sich.
Natürlich war Frau Bengtsson getauft und konfirmiert wie die meisten Schweden. Getauft, weil sie keine Wahl hatte, und konfirmiert, weil es für eine Vierzehnjährige zur sozialen Norm gehörte. Man wurde in die Gemeinschaft aufgenommen, durfte ins Ferienlager fahren, konnte feiern und bekam jede Menge Geschenke.
Dass sich ein Teenager die Bedeutung der Konfirmation zu Herzen nahm, war wohl die Ausnahme, dachte Frau Bengtsson. Sie hatte dies jedenfalls nicht getan, und ihre Freunde auch nicht, soweit sie sich erinnerte. Die meisten hatten die Konfirmandenstunde und die Gottesdienste langweilig und nichtssagend gefunden. Ein notwendiges Übel, damit man hinterher feiern durfte. Zwar hatte sie ihre Pflichtlektüre absolviert, doch das war viele Jahre her.
Was stand eigentlich in der Bibel? Da gab es einen Gott, der zwei Figuren erschuf, und die aßen einen Apfel. Nein, nicht ganz! Daran erinnerte sie sich aus dem Konfirmandenunterricht. Der Pastor hatte ihnen erzählt, dass in der Bibel überhaupt nichts von einem Apfel stehe. Dort sei nur von einer verbotenen Frucht die Rede. Sie erinnerte sich genau, wie bestürzt sie damals gewesen
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