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Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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ganze Zeit habe ich versucht, mich zu lösen, und es nicht geschafft‹, denkt sie, ›ein Zauber hält mich fest wie eine Fliege, die am Honig klebt.‹
    Die Feministin Lucero González bittet sie, ein Plakat für eine Veranstaltungsreihe zu gestalten. Leonora zeichnet eine Eva, die den Apfel zurückgibt und ihre Führungsrolle wieder einnimmt. Am Küchentisch sitzend, lauscht Lucero fasziniert ihren Gedanken. Der Malerin zufolge enthält die Bibel mehr Lücken als Wahrheiten, zudem hänge ihr Verständnis von der Deutung der Schriftgelehrten ab. Warum, fragt sie sich, ist Gott, dieser zornige alte Mann, der bestraft und zerstört, nur so beliebt? Wie kann man jemanden verehren, der der Menschheit Plagen und Vernichtung schickt? Warum schiebt man Eva die Schuld an allen Katastrophen zu?
    Reglos hört Lucero Gonzáles ihr zu.
    »Wenn die Frauen sich weltweit für die Geburtenregelung entscheiden würden«, fährt Leonora fort, »wenn sie Krieg und Geschlechter- und Rassendiskriminierung ablehnen würden, sähe die Welt anders aus.«
    Für Mexikobesucher gehört die Malerin mittlerweile zum Pflichtprogramm wie die Pyramiden und Schloss Chapultepec. Sie empfängt Kunstliebhaber, Galeristen, Kritiker, lächelt höflich und wünscht sich insgeheim, man ließe sie in Frieden.
    Aus den Vereinigten Staaten und Europa kommen Sammler, Journalisten bitten um Interviews.
    »Verdammt noch mal«, brummt Leonora, wenn es an der Haustür klingelt. Sie verteidigt ihr Privatleben. Die Hommagen häufen sich und werden zur Belastung, weil sie auf den Podien, vor Publikum, nicht rauchen darf. ›Die reinste Qual‹, denkt sie. ›Würde die Göttin Dana mich doch in einen Kabeljau verwandeln!‹
    Leonora rezitiert: »Millionen Eier legt der Kabeljau, / die Henne jedoch nur ein einziges. / Der Kabeljau schuftet und sagt keinen Ton, / die Henne gackert, und wir sagen: Fein! / Der Kabeljau aber wird nie gelobt. / Merkt es euch, Freunde, und lernt daraus: / Eigenwerbung zahlt sich aus.« Ihr liegt nichts an der öffentlichen Aufmerksamkeit, aber die Medien verfolgen sie.
    Die UNAM ehrt Leonora im brechend vollen Audimax der Geisteswissenschaftlichen Fakultät. Auf den Fluren drängen sich die jungen Leute in Jeans und mit Umhängetaschen, sie reden laut, schubsen und piesacken einander, manche rauchen, andere spielen Schach, unbeeindruckt vom Lärm. Die Wände sind bis in den letzten Winkel mit Flyern und Aushängen übersät. ›Mitbewohner für WG gesucht. Fünf Minuten von der UNAM entfernt‹, ›Karl-Marx-Seminar, jeden Mittwoch Debatten‹, ›Muttersprachler erteilt Deutschunterricht‹. Ein schlaksiger Bursche in Sandalen sammelt Unterschriften für eine Petition zur Senkung der Cafeteria-Preise. Plötzlich ist Leonora von jungen Leuten umringt, die nicht einmal halb so alt sind wie sie und mit ihr reden, als würden sie sie von jeher kennen. Eine Studentin im blauen Pullover, mit zerzaustem Haar und zerrissener Hose kommt mit dem Buch Unten auf sie zu und legt es ihr in die Hände.
    »Señora Carrington, könnten Sie mir bitte eine Widmung hineinschreiben? Ich bin ein großer Fan von Ihnen.« Sie reicht ihr einen Kuli.
    »Wie heißt du?«
    »Leonora. Mein Vater hat mich nach Ihnen genannt.«
    Die Augen der Engländerin leuchten auf. ›Von Leonora für Leonora mit herzlichem Gruß‹, schreibt sie in das Buch.
    Nachdem das junge Mädchen sich verabschiedet hat, umringt eine Gruppe von Journalisten Leonora. In der ersten Reihe glaubt Leonora jemanden wiederzuerkennen, eine kleine Frau, die mit der Konzentration eines Buddhas etwas in einem roten Büchlein notiert. Plötzlich schaut die Frau auf und fragt unumwunden:
    »Sind Sie gern zur Erstkommunion gegangen?«
    Leonora lächelt, die anderen lachen.
    »Ja, denn hinterher hat meine Mutter mich in den Zoo mitgenommen. Wir lebten damals in einem Bergmannsdorf, in dem Männer im Dunkeln arbeiteten, damit andere Licht hatten.«
    »Und eine Hyäne hat Ihnen Französisch beigebracht?«
    »Ja, sie hat mir ein Kapitel aus Eugénie Grandet von Balzac vorgelesen, und ich habe ihr versprochen, sie in der nächsten Woche wiederzusehen.«
    Während die Reporterin schreibt, nutzen andere die Gelegenheit, Leonora um ein Autogramm zu bitten, und fragen nach Max Ernst. Eine große Frau mit vielen Halsketten und hohen Pfennigabsätzen lässt sich lang und breit über die Welt der Träume aus.
     
    Zwischen 1973 und 1975 malt Leonora A Warning to Mother, The Powers of Madame Phoenicia und Grandmother

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