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Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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hat sie es zu verdanken, dass sie nun von montags bis freitags das Büro des Madrider Direktors von Imperial Chemical Industries und das des britischen Konsuls aufsuchen kann. Alberto wartet draußen auf sie. Die Konsulatsangestellten, von ihrer Schönheit geblendet, nehmen sie anfangs noch ernst, sind es aber schließlich leid, sich ihre hastig vorgetragene Liste politischer Forderungen anzuhören.
    »Man muss die französische Résistance unterstützen, nur der Maquis kann die Nazis besiegen, alle Kollaborateure gehören vor Gericht, Pétain, Laval, ganz Vichy«, fordert sie mit blitzenden Augen.
    »Da kommt sie wieder«, warnen die Pförtner.
    »Ich glaube, sie ist tatsächlich wahnsinnig«, meint der Konsul.
    »Sie leidet unter schweren Depressionen, aber dafür kann sie nichts«, sagt die Erste Sekretärin voller Mitleid. »Schlimm finde ich nur, dass sie immer das Gleiche wiederholt und von Tag zu Tag zorniger wird.«
    Als nach einer Woche immer noch nichts geschieht, beginnt Leonora, die Botschaftsangestellten und mit ihnen auch Harold Carrington als kleinkarierte Schlappschwänze zu beschimpfen.
    Wenn sie den Madrider Direktor von Imperial Chemical Industries nicht in seinem Büro antrifft, sucht sie ihn zu Hause auf und macht ihn vor Frau, Kindern, Chauffeur und Hausmädchen herunter. Der Direktor bespricht sich mit dem englischen Konsul, und dieser wendet sich an Doktor Pardo.
    »Wir möchten Ihre Meinung hören.«
    Leonora ist redegewandt, wenn man sie nur lässt, sie würde ganz Spanien mitreißen, dieses Land, das jetzt in Trümmern liegt. Der Arzt Alberto ist mittlerweile ihr williges Opfer. Er liegt ihr zu Füßen und erfüllt ihr jeden Wunsch.
    »Diese Frau muss ins Krankenhaus«, sagt Doktor Pardo, und der Botschaftsbeamte pflichtet ihm bei:
    »Sie hat sämtliche Grenzen überschritten, wir müssen etwas tun. Mister Carrington lässt uns freie Hand.«
    »Ich kenne eine von Ordensschwestern geführte Klinik«, sagt Doktor Pardo.
    In dem Nonnensanatorium, in das man sie einsperrt, gelingt es der ›Verrückten‹, Türen und Fenster zu öffnen und aufs Dach zu steigen. ›Hier ist mein Platz‹, denkt sie. Beim Blick aus der Höhe auf das Leben in Madrids Straßen, erfasst sie Euphorie. ›Das sind wir Menschen: Ameisen, Schaben, Insekten.‹ Die Nonnen rufen die Feuerwehr, die sie herunterholt.
    »Diese Frau ist ein loderndes Feuer«, stellt einer der Männer fest.
    Das gesamte Kloster ist in Aufruhr, und die Mutter Oberin erklärt, sie sei mit der Beaufsichtigung der Engländerin überfordert.
    »Möge Gott ihr seinen Schutz gewähren, unsere Gemeinschaft kann nichts für sie tun.«
    »Miss Carrington repräsentiert ein Vermögen, wir können sie keinesfalls sich selbst überlassen«, äußert der Direktor besorgt.
    »Da es im Ordenssanatorium nicht geklappt hat, bleibt uns nur noch die Heilanstalt von Doktor Morales in Santander. Sie gehört zu den wenigen Einrichtungen, die ich empfehlen könnte«, lautet Doktor Pardos nächster Vorschlag. »Im Jahr 1912 besichtigte Ihre Majestät Königin Victoria Eugenia das Haus, hat dort gespeist und einer Kirmes beigewohnt. Die Anstalt gehört zu den ältesten Spaniens.«
    »So viele gibt es ja auch nicht«, meint Doktor Martínez Alonso, der seine Arbeit wiederaufnimmt.
    »In der Klinik in Santander sind Adelige und Angehörige des Großbürgertums untergebracht, ausnahmslos vornehme Personen, daher ihr ausgezeichneter Ruf. Morales ist Spezialist, ein guter Katholik, der sich persönlich um jeden einzelnen Patienten kümmert, insgesamt nicht einmal vierzig, glaube ich, denn die Klinik ist teuer. Überdies ist die Heilanstalt ein richtiger kleiner Palast mit einem hundertsiebzigtausend Quadratmeter großen Park, einem Gemüsegarten und großen Grünflächen, auf denen die besseren Familien sonntags ausreiten.«
    »Ein kleiner Palast?«
    »Ja, ein wirklich beeindruckendes Anwesen …«
    Harold Carrington ordnet Leonoras Einweisung an und wünscht, dass man sie nach ihrer Heilung nach Hazelwood zurückschickt.
    Drei Tage später sucht der Madrider Direktor von Imperial Chemical Industries Leonora in Begleitung der Ärzte Pardo und Martínez Alonso im Hotel auf, um sie nach Santander einzuladen. »Dort erwarten Sie viele Dächer mit einer unschlagbaren Aussicht.« Vertrauensselig lässt sie sich zu einem Wagen führen, der sofort startet. Die neue Klinik liegt weit entfernt von Madrid. Nach einer halben Stunde Fahrt wird Leonora unruhig und fragt, wohin man sie

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