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Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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sich heute schon zu viel bewegt und sind sehr müde.«
    »Wenn ich mich hinsetze, sterbe ich!«, kreischt Leonora.
    »Ruhig! Nicht schreien!«
    Die ganze Welt soll hören, was ihr widerfahren ist, soll sich darüber empören, was man ihr antut! Wenn sie schweigend leidet, wird das Schweigen sie umbringen.
    »Das ist ungerecht, ich kann hier nicht bleiben. Warum sind diese Leute eingesperrt?«
    Leonoras Gehirn sendet Befehle, aber ihre Zunge will nicht gehorchen. Niemand versteht sie. Arme und Hände reagieren nicht. Ein arglistiges Wesen in ihrem Inneren tut alles, damit sie versagt. Sie wird sich ein wenig ausruhen und es noch einmal versuchen, vielleicht gelingt es ihr dann zu sagen, was sie denkt.
    Auch der zweite Versuch schlägt fehl. Rasender Zorn packt sie. Wer treibt sie dazu, sich derart in Gefahr zu begeben? Wer misshandelt und erniedrigt sie so? Warum kommt ihre Mutter ihr nicht zu Hilfe? Sie springt so ruckartig auf, dass die Bank umkippt, rennt im Zickzack über die Wiese und befragt die Bäume, den Rasen, die Türen der Pavillons. Die Krankenschwester läuft ihr mit gerötetem Gesicht hinterher.
    »He, he, warum rennen Sie denn so, Sie sind doch kein Kind mehr!«
    Doch, Leonora ist ein verlassenes Kind. Was mit ihr geschieht, wird sie noch um den Verstand bringen. ›Welchen Verstand? Von welchem Verstand reden sie?‹ Sie bleibt stehen, weil ein junger Mann im Overall vorbeikommt.
    »Buenas tardes«, sagt er.
    »Sind Sie Alberto, mein magisches Pferd, das die Macht hat, den kosmischen Baum hoch- und runterzuklettern?«
    »Vielleicht«, lächelt er.
    »Wo bin ich?«, fragt sie.
    »In Spanien.«
    »Die Vegetation ähnelt der irischen, aber wenn ich die Leute hier sehe, frage ich mich, ob ich nicht sogar auf einem anderen Planeten bin.«
    »Dies ist eine Welt, in der Zivilisation etwas anderes bedeutet«, antwortet der junge Mann lächelnd.
    »Und wo ist Alice? Ich glaube, ich bin in dasselbe bodenlose Loch gefallen wie sie.«
    Die Krankenschwester holt sie ein und erklärt ihr, der junge Mann sei einer der Gärtner der Anstalt und die bestehe aus dem Röntgen-Pavillon, dem Sonnenzimmer, der Villa Pilar, der Villa Covadonga, der Bibliothek, der Verwaltung, dem Park neben dem Speisesaal der Direktion und den Behandlungsräumen der Ärzte Mariano und Luis Morales. Sie zeigt auf die Tür, durch die Vater und Sohn jeden Morgen kommen, und auf den etwas weiter entfernten, den scheinbar modernsten Pavillon, den der Genesenden, den alle ›Unten‹ nennen. Er ist das Tor zur Freiheit.

Die Ärzte
    Doktor Mariano Morales genießt großes Ansehen, voller Stolz sprechen Frau Asegurado und die übrigen Schwestern und Pfleger von ihm.
    »Dieses Gut ist sein Besitz«, erklärt die deutsche Krankenschwester, »es reicht bis Peñacastillo. Um das Gutshaus herum hat Don Mariano mehrere Pavillons errichten lassen, die er persönlich überwacht. Ihm liegt nicht nur die Gesundheit seiner Patienten am Herzen, sondern auch, dass sie einen Ort der Zerstreuung haben und sich mit Zeichnen, Malen oder Klavierspielen beschäftigen können. In ganz Europa ist er als Spezialist für Geisteskrankheiten anerkannt. Sein Sohn ebenfalls. Machen Sie sich also keine Sorgen, Sie sind hier in besten Händen. Kommen Sie, wir setzen uns.« Sie nimmt Leonora beim Arm.
    »Sie sprechen von den Morales, als wären sie Götter.«
    »Das sind sie auch, sie werden über Ihr Schicksal entscheiden«, erwidert die Krankenschwester mit hässlichem Grinsen.
    »Statt in ihren Händen wäre ich lieber in den Armen von Alberto, der ist auch Arzt.«
    Die Krankenschwester stellt sich taub.
    »Ich würde gern eine Karte dieser Anlage zeichnen, den verschiedenen Pavillons würde ich andere Namen geben, zum Beispiel Jerusalem, Afrika, Amachu und Ägypten, so hätte ich das Gefühl, zu anderen Kontinenten zu reisen. Könnten Sie mir Papier und Stift besorgen, damit ich eine solche Karte zeichnen kann?«
    »Die meisten Patienten streben nach dem Unmöglichen«, antwortet die Krankenschwester.
    Leonora willigt ein, sich auf eine Bank zu setzen, das Blatt Papier auf den Knien. Sie zeichnet ein wirres Labyrinth, in dem sie versucht, zwischen Bäumen, Türmen, Treppen, Gittern und Kreuzen den Rückweg nach Saint-Martin d’Ardèche, nach Crookhey Hall, nach Hazelwood und in ihre Wohnung in der Rue Jacob wiederzufinden. Rings um die Pavillons zieht sie eine lange, verzitterte Mauer.
    »Nur so werde ich es schaffen, mich nicht zu verlaufen.«
    Gelangweilt sitzt die

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