Frau des Windes - Roman
kann.
»Wenn Sie bleiben und bei uns wohnen, Fräulein, wird Ihre Haut sich mit Sternen bedecken, und Sie werden die heilige Krankheit der Bibel bekommen: die Lepra.«
Auf ihrer Flucht aus dem Haus sieht Leonora gerade noch, wie die Frau ihr vom Balkon aus zuwinkt und dabei zwei ihrer Finger herunterfallen.
Leonora schreibt die Erzählung Weiße Kaninchen , die ihr wie eine Vorahnung erscheint. Bleibt sie in New York, wird sie an Lepra erkranken, weil Peggy Guggenheim alle Kaninchen in ihrem Umkreis ansteckt.
Auch in New York hat Leonora exzentrische Anwandlungen. Die Gruppe trifft sich häufig im französischen Restaurant Larre in der 56th Street oder in Bretons Wohnung in Greenwich Village. Dort unterhält man sich angeregt über die Zeitschrift VVV . Wie immer erteilt Breton Befehle, Jacqueline wird es zu bunt. »Er ist so dominant«, klagt sie, und Leonora pflichtet ihr bei. Manche von Leonoras Einfällen nimmt die Gruppe begeistert auf, andere missbilligt sie. Luis Buñuel wundert sich, als Leonora während eines Abendessens plötzlich vom Tisch aufsteht, ins Badezimmer geht und klitschnass, mit am Körper klebenden Kleidern, wieder herauskommt. Triefend setzt sie sich an ihren Platz ihm gegenüber und starrt ihn an.
»Ich habe geduscht«, sagt sie.
»Angezogen?«
»Ja.«
»Ich bringe dich nach Hause.«
»Du bist ein attraktiver Mann«, sagt sie zu Buñuel und drückt seinen Arm. »Du hast Ähnlichkeit mit meinem Gefängniswärter Luis Morales.«
Keine Frage, Buñuel ist ein guter Mensch. Leonora war nicht dabei, als sein Film Das goldene Zeitalter in Paris uraufgeführt wurde, an jenem Abend, als Mitglieder der Liga der Patrioten und der Antijüdischen Liga Farbbeutel auf die Leinwand warfen und im Foyer des Kinos surrealistische Gemälde mit Messerstichen zerstörten. Jetzt hakt Buñuel sie unter und beschützt sie mit seinen vorstehenden Augen. Als sie von ihrer Beklemmung spricht, sagt er: »Der Geächtete bin ich«, und sein Lächeln beruhigt sie. »Ein Verdammter zu sein hebt einen aus der Menge heraus. Charles de Noailles wurde wegen meines Films aus dem Jockey Club ausgeschlossen. Das haben wir sofort mit einer Flasche Champagner gefeiert. Hättest du Lust, jetzt etwas trinken zu gehen?«
Auch Leonoras gastronomische Experimente machen von sich reden. Sie lädt André Breton und Marcel Duchamp zum Essen ein und serviert ihnen ein mit Austern gefülltes Kaninchen.
Mit Dalí verkehrt keiner der Surrealisten mehr. »Dalí ist eine Hure«, sagen sie. »Er ist zu weit gegangen.« Auch zu Gala, seiner früheren Geliebten, hat Max den Kontakt abgebrochen; mittlerweile nennt er sie bei ihrem richtigen Namen: Elena Dmitrievna Diakonova. Extravaganz hilft, berühmt zu werden, aber Ruhm interessiert die Surrealisten nicht wirklich.
An manchen Tagen kehrt Leonora zurück zur Villa Covadonga und zu ihrer Depression. An anderen lacht sie über sich selbst und ihren Wahnsinn. Einmal bestreicht sie sich im Restaurant die Füße mit Senf. »Jetzt kann er uns vor die Tür setzen, dieser blasierte Kellner.«
Buñuel schildert ihr ein von nordamerikanischen Wissenschaftlern durchgeführtes Experiment, bei dem ein Paar in einen Käfig gesperrt wurde und nichts zu essen bekam. Die Verliebten hatten sich selbst als Versuchskaninchen zur Verfügung gestellt. Mit wachsendem Hunger aber vergaß der Mann seine Liebe, und schließlich mussten die Turteltäubchen, da sie drauf und dran waren, sich gegenseitig zu zerfleischen, aus dem Käfig befreit werden.
»Hat er die Knochen übrig gelassen?«
»Ach, Leonora!«
»Ich dachte, er hätte sie aufgefressen.«
»Nein, so war es nicht.«
»Glaubst du, Max hätte sich für mich geopfert?«
Statt ihr zu antworten, erzählt Buñuel ihr von seinem Lieblingsbuch. Es handelt von zwei guten Freunden, die sich über die Jahre aus den Augen verloren haben und eines Tages verabreden, sich wiederzusehen. Während der eine im Zug sitzt und schon ganz aus dem Häuschen ist vor Freude, erwartet der andere ihn sehnsüchtig in seinem Landhaus. Am Ende stellen beide fest, dass sie sich nichts mehr zu sagen haben.
»Erzählst du mir das wegen Max?«
»Nein, Leonora. Bezieh nicht immer alles auf dich«, erwidert Buñuel.
»Glaubst du, Max und ich haben uns nichts mehr zu sagen?«
»Fang nicht wieder an, Leonora.«
Renato macht sich keine großen Gedanken über das Verhalten seiner Frau; er verschließt lieber die Augen, da er ohnehin kaum Zeit mit ihr verbringt. Leonora fühlt sich
Weitere Kostenlose Bücher