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Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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wenn du es tust. Seit über fünfzehn Jahren protestiere ich dagegen, dass Geisteskranke weggesperrt werden. Darum geht es auch im ersten surrealistischen Manifest. Ich könnte all meine Zeit damit verbringen, die Geheimnisse der Geisteskranken zu sammeln und sie gegen ein Gesetz zu verteidigen, das sie wegen ihrer Taten verurteilt, Taten, die für mich Akte der Freiheit sind.«
    »Was sind für dich Akte der Freiheit?«
    »Dem, der Streit sucht, die Stirn zu bieten, zu sagen, was man denkt, sich nackt auszuziehen, wenn einem danach ist, Schmerzens- oder Freudenkrämpfe zuzulassen …«
    Warum bezieht Breton die konvulsivische Schönheit denn nicht auf sich selbst, warum immer auf eine Frau? Breton kommt gar nicht auf die Idee, er selbst könne nackt und im eigenen Kot erwachen. Nicht er, der Mann, sondern die Frau soll aus dem Abgrund auftauchen, damit er sie analysieren und seine eigene Vorstellung vom Unbewussten erweitern kann.
    »Zwischen deinen Theorien und der Agonie, die ich unter der Wirkung von Cardiazol erlebt habe, klafft ein Abgrund.«
    »Trotz deiner Angst musst du dich dazu durchringen.«
    »Du magst Arzt sein, aber du redest als Zuschauer.«
    »Ich war mit Janet in französischen Irrenhäusern und habe Hypnoseexperimenten beigewohnt.«
    »Aber du hast nicht in diesen Häusern gelebt, das ist der Unterschied.«
    »Ich bin Arzt und liebe die Frauen. Hör auf mich, schreib auf, was du erlebt hast. Deine Erzählungen sind ausgezeichnet. Schreib, Leonora. Oder gibt es etwas in deinem Leben, was du bedauerst?«
    »Ich bedaure nichts.«
    Unter großen Mühen verfasst Leonora eine erste Beschreibung ihrer Erlebnisse in Santander.
    »Zeig sie mir.«
    Jacqueline Lamba und Breton lieben sich nicht mehr wie früher, und Aube bekommt es zu spüren. Jacqueline beschwert sich, dass Breton sie nie als Malerin vorstellt, sondern als die Nymphe, die er aus der Seine gefischt habe. Aus Rache lässt sie sich auf den Millionär David Hare ein, der sich in sie verliebt hat, ihr überallhin folgt und ihr immer wieder sagt, sie sei ein Genie und jeder Pinselstrich von ihr eine Offenbarung.
    Breton lädt Leonora ein, an der surrealistischen Ausstellung in der Villa Reid mitzuwirken, die er zugunsten von Kriegsgefangenen und französischen Kindern organisiert.
    »Es wird phantastisch werden, ganz New York wird uns zu Füßen liegen.«
    Für die Ausstattung des hässlichen Interieurs der Villa Reid versuchen die Maler, den an sein Schachbrett gefesselten Duchamp zu gewinnen.
    »Marcel, du lebst jenseits der Realität!«, wirft ihm sein enger Freund Man Ray vor. »Dein Leben besteht nur noch aus vierundsechzig schwarzen und weißen Feldern.«
    Schach kann teuflisch sein. Über Wochen verkriecht Duchamp sich, um neue Strategien auszutüfteln. Die zweiunddreißig Holzfiguren ersetzen ihm Vater, Mutter, Geschwister, Freunde, Geliebte. Man Ray unterbricht sein Spiel, aber Duchamp schiebt ihn zur Seite.
    »Lass mich in Ruhe, ich untersuche gerade die Vorteile der Rochade und der Gabel!«
    »Wie ist es möglich, dass du dein Leben auf ein paar geschnitzte Holzfigürchen reduzierst, während draußen alle auf dich warten!«
    Als schließlich sein Kühlschrank leer ist, bietet Peggy Guggenheim an, ihm das Honorar für die Dekoration der Villa Reid vorzustrecken. Duchamp schuftet wie ein Besessener, um so schnell wie möglich zu seinem Schachbrett zurückkehren zu können, hetzt hin und her und fertigt innerhalb von zwei Tagen ein riesiges Spinnennetz an, das von einem Raum zum anderen reicht. Zuvor hat David Hares Frau Susanna ihm geholfen, Tausende von Metern Schnur zu entrollen und das Netz zu knüpfen, das sie nun an die Decke hängen. Die Helfer machen große Augen, schließlich aber schwebt Duchamps riesiges Talent über ihren Köpfen und fängt ihre Bewegungen ein wie in seinem Akt Nu descendant un escalier .
    »Dein Spinnennetz ist große Klasse!«, ruft Herbert Read.
    Leonora stellt zwei Bilder aus und besucht Duchamp, um ihm zu sagen, wie traumhaft sie die Deckengestaltung findet.
    »Kannst du Schach spielen?«, fragt er sie noch vor der Begrüßung.
    »Nein, zeig es mir.«
    »Ich spiele, seit ich sieben Jahre alt bin.«
    Vor sich das Schachbrett, erklärt Duchamp ihr, dass die Bauern immer geradeaus laufen, beim ersten Zug zwei Felder, und dass sie die gegnerischen Figuren schlagen, indem sie sich in schrägen Zügen nach rechts und links bewegen, dass das Pferd L-förmig vorrückt, der Turm geradeaus geht und der Läufer sich

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