Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
Vom Netzwerk:
sicher bei ihm, und gelegentlich tut er ihr den Gefallen, sie zu ihren abendlichen Einladungen zu begleiten. Wenn er sich weigert auszugehen, erscheint zu Max’ Verdruss Leonora auch nicht.
    Breton und Tanguy nehmen regelmäßig an den Zusammenkünften teil und zeigen sich besorgt: »Leonora, hör nicht auf zu schreiben«, sagen sie, »hör nicht auf zu malen.« Die Psychiatrie lebt in ihr fort und taucht in ihren Gemälden auf. Green Tea zeigt Leonora nach ihrer Schocktherapie; wie eine Mumie umwickelt steht sie im Park von Santander in einem Kreis, aus dem sie nicht herauskann. In einer Ecke des Bildes ist ein Mischwesen aus Hund und Hyäne mit einem baumförmigen Schwanz zu erkennen, an dessen Stamm ein Pferd angebunden ist. Das Pferd hat auch einen Baumschwanz, an den es selbst angebunden ist.
    Im Studio von Stanley William Hayter bringt Leonora ihre erste Schwarzweißradierung auf einer Druckplatte auf, eine Erinnerung an ihren Wahnsinn. Ihre Zeichnung ist so realistisch und genau, als hätte sie eine auf ewig in ihr Gedächtnis eingegrabene Szene festgehalten: Mehrere angekettete Hunde laufen auf das Innere eines Kreises zu, der ebenfalls Kopf und Beine hat. Leonora selbst ist der angekettete Hund, der bereits in Green Tea auftaucht.
    »Leonora«, sagen David Hare, Breton und Duchamp zu ihr, »deine Skizze nehmen wir in eine Mappe mit Originalen aus VVV auf, die wir herausgeben werden.«
    Auch von Chagall, Calder, Masson, dem makabren Kurt Seligmann, Tanguy, Breton, Matta und Robert Motherwell sind Arbeiten dabei.
    Zu Leonoras großer Überraschung gibt Manka Rubinstein, die Schwester von Helena, ein Bild von der Größe einer der Wände ihres Hauses bei ihr in Auftrag.
    »Ich habe gar nicht genug Geld, um mir eine so große Leinwand zu kaufen«, sagt Leonora zu Max.
    »Keine Sorge, wir gehen zu Chagall«, schlägt Duchamp vor. »Er ist der Einzige von uns, dessen Bilder sich wie warme Semmeln verkaufen. Sag ihm, er bekommt sein Geld zurück, sobald die Rubinstein bezahlt hat.«
    Chagall schaut sich die acht kleinen Entwürfe der Engländerin an und ermuntert sie mit seinem russischen Akzent – »Mal weiter, Kleine, mal weiter« –, leiht ihr aber nicht eine einzige Leinwand und erst recht kein Geld. Da kommt Breton auf die Idee, sein Laken vom Bett zu ziehen und es Leonora zu überreichen.
    »So, und jetzt an die Arbeit. Wozu mit diesem Geizhals Zeit verlieren?«
    Duchamp, der Chilene Matta und Ernst sind ihre Assistenten. Duchamp, den Leonora mag, weil er sich selbst nicht so ernst nimmt, malt den Hintergrund. Im oberen linken Teil des Bildes signiert Max mit einem blauen Vogel.
    »Warum signierst du das Bild, wenn es von Leonora ist?«, fragt Duchamp.
    »Ich habe nur einen blauen Glücksvogel gemalt«, erwidert Max.
    Als das Werk vollendet ist, bezahlt die begeisterte Manka Rubinstein zweihundert Dollar, mehr als Leonora je für ein Bild erhalten hat.
    »Jetzt kannst du dir vorstellen, was Helena Rubinstein Dalí für die Dekoration ihrer Wohnung bezahlt hat.«
    Nach einem langen Abend, an dem Leonora mit ihren Helfern den Erfolg bei der Rubinstein gefeiert hat, kommt sie nach Hause und stellt fest, dass Renato nicht da ist. Seine Abwesenheit versetzt sie in Panik. Sie greift nach seiner tragbaren Olivetti, setzt sich davor und schreibt wie unter Zwang:
    ›Bist du wieder fortgegangen, als du mich nicht angetroffen hast? Bin ich zu spät gekommen? Ich dachte, du bist zu Hause, und jetzt ist alles so traurig in mir. Als ich heimkam, schaute der Portier mich an, als hättest du ihm etwas über mich gesagt. Stimmt das?
    Meine Sehnsucht nach dir richtet mich langsam und qualvoll zugrunde, komm zurück, so schnell du kannst. Ich werde das Bett, diesen gefräßigen Schlund, der die Vögelnden verschlingt, erst dann aufschlagen, wenn du wieder da bist, mich allein in dieses Gestell zu legen, wage ich nicht. Ich habe Angst, in den Abgrund zu stürzen. Ich liebe dich ganz furchtbar, und obwohl du mich den ganzen Tag allein lässt, ist es schrecklich hier ohne dich. Ich hasse New York. Ich liebe dich, ich habe Lust, mit dir zu schlafen, dich zu küssen und zu lecken. Es wird später und später, und du bist immer noch nicht da. Ich habe Angst, vor nichts, komm schnell, komm schnell, Renato, um Gottes und um Satans, ja um Satans willen. Ohne dich drehe ich durch, weil ich dich brauche. Ich bin so ängstlich, ich brauche dich viel zu sehr. Weißt du, wie sehr ich dich brauche! Ich höre nicht auf zu schreiben, bis du

Weitere Kostenlose Bücher