Frau Edelweiß und der Nato-Gipfel: Ein Schulkrimi - Der erste Fall von Frau Edelweiß (German Edition)
und manchmal eben auch Kartenständer. Sie stöhnte laut auf, als sie die Tür öffnete. Die Luft war immer schlecht, aber jetzt war es ganz und gar unerträglich. Es roch anders als sonst. Sie kannte die abgestandene Luft, aber heute mischte sich noch ein anderer Ton hinein. Es roch nach schlechtem Fisch und nach einer verstopften Toilette. Sie hielt sich die Nase zu. Einmal kräftig durchatmen und dann schnell rein und wieder schnell raus. Einen Atemzug lang würde sie diesen Gestank ertragen. Sie ging noch einmal in den Flur holte tief Luft und stürmte in den kleinen Gang, der zu den zwei Lehrmittelräumen führte. Sie blickte in das linke Zimmer. Da stand tatsächlich ein Kartenständer, doch das bemerkte sie gar nicht mehr. Vor Schreck riss sie ihren Mund weit auf und sog den unerträglichen Geruch voll ein. Sie taumelte zurück, stieß sich den Ellenbogen an der in den Raum stehenden Türe. Ihr wurde schwarz vor Augen, von dem was nun ihre Lungen füllte und von dem was sich ihren Augen da für ein Bild bot. Sie hielt sich an dem Kartenständer fest und packte ihn mechanisch. Sie wollte ihn packen und einfach rausrennen, sie wollte alles ignorieren, was sie zu sehen bekam. Doch ihre Finger blieben kleben. Ein Rinnsal war den Holzständer heruntergeflossen. Dunkelrotes Sekret – Blut vermutlich. Angewidert löste sie ihren Griff, sie starrte auf ihre verklebten Hände und dann wieder auf den Boden. Da lag er, ihr Chef, tot, offensichtlich. Wie hatten sie nach ihm gesucht und nun lag er da, in einer merkwürdigen Verrenkung. Blut war ihm aus einer Kopfwunde getropft. Eine kleine Blutlache hatte sich neben ihm gebildet. Die Augen standen weit offen. Er war ungewöhnlich leger gekleidet. So hatte sie ihren Chef noch nie gesehen. Er trug eine Jogginghose und ein helles Sweatshirt. Hatte er sich schon zur Ruhe begeben? Hatte ihn etwas aufgeschreckt? Was hatte er bloß hier in der Kammer zu suchen gehabt? Das war alles zu viel für sie. Der Tod war nicht präsent in ihrem Leben. Die letzte Tote, die sie gesehen hatte, war ihre Griechischlehrerin gewesen. Da war sie noch im Studium. Sie war bei der Beerdigung dabei und hatte sie aufgebahrt gesehen. Merkwürdig fremd hatte sie da ausgesehen. Es war nicht mehr die Frau, die sie so sehr geschätzt hatte. Auf der Bahre lag eine Fremde. Sie hatte gedacht, dass es für sie leichter sein würde, sie noch einmal da liegen zu sehen, dass es alles begreiflicher für sie machen würde. Den Tod zu erkennen und zu verstehen. Aber da lag eine Frau, die ganz andere Gesichtszüge hatte, es war eine Fremde. Und genauso fremd war ihr auch dieser Mann da, mit dem sie so oft in leidenschaftlichen Disput verfallen war. Sie hatten sich gehasst, aber in ihrem Hass war auch Respekt gewesen. Respekt für die Hartnäckigkeit und Unnachgiebigkeit mit der jeder seine Meinung ausgefochten hatte. Sie war immer am kürzeren Hebel gewesen, aber er hatte ihr zuweilen auch kleine Siege eingestanden, sonst hätte sie es nicht so lange an der Schule ausgehalten. Er war es, daran gab es keinen Zweifel, aber er war es auch nicht. Es war die Fratze des Todes, die sie erschaudern ließ. Sie stürzte raus, in den Gang, schmiss die Tür zu. Der Schlüssel steckte noch, sie drehte den Schlüssel um und stürzte weiter raus aus dem Zimmer. In den Schulflur in ihr Klassenzimmer. Sie zitterte am ganzen Körper. Sie sah auf ihre Hände und ein Entsetzen packte sie. Sie stürmte an das Waschbecken des Klassenzimmers und begann ihre Hände zu schrubben. Unaufhörlich ließ sie das Wasser über ihre Hände fließen, immer wieder drückte sie auf den Seifenspender und benetzte ihre Hände mit der milchigen Flüssigkeit. Sie setzte sich hinter ihr Pult, die Augen starr. Dann kamen die Schüler hereingestürmt. Ihre Kollegin hatte sie wohl für sie mit hochgenommen. Sie war keiner Reaktion fähig. Die Kinder setzten sich auf ihre Plätze und waren unschlüssig. „Frau Edelweiß, was sollen wir machen?“ „Sollen wir weitermachen, Frau Edelweiß?“, sie schauten sich ratlos um. „Was hat sie?“, fragte die forsche Johanna. Der kleine Matthias zupfte Frau Edelweiß an dem weiten Pulli. „Frau Edelweiß, ist alles klar?“ Sie konnte sich nicht bewegen, sie konnte sich nicht äußern, sie war starr, unbeweglich. Sie kam sich vor wie eine, die im Wachkoma liegt. Wie konnte sie nur so reagieren, müsste sie jetzt nicht Hilfe holen, wild rumkreischen, die Polizei verständigen, Notarzt usw.? „Notarzt“, dachte sie,
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