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Frau Holle ist tot

Frau Holle ist tot

Titel: Frau Holle ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Stark
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Beispiel Schleifspuren an den Fersen?«
    Enders schüttelte den Kopf, sah sich zur Sicherheit die
Fersen der Toten aber noch einmal an.
    »Bewegt wurde sie schon, aber dazu sag ich später noch
was, Robert. Ich will dir erst etwas anderes zeigen.«
    Er winkte den Kommissar heran.
    »Siehst du das?«, fragte er und deutete auf den Bauch
der Leiche.
    »Du hast den senkrechten Schnitt zur Öffnung des
Körpers ziemlich krumm geführt«, war alles, was Mayfeld sagen konnte.
    Enders schaute ihn mit einem Blick an, der wohl sagen
sollte, dass an ihm kein Pathologe oder Forensiker verloren gegangen war. Aber
das hatte Mayfeld bereits vorher gewusst.
    »Ich hatte einen Grund dafür.« Er deutete auf zwei
unscheinbare dunkle Punkte unterhalb des Rippenbogens, die durch die
Schnittführung ausgespart worden waren.
    »Das sind keine Injektionsstellen, wie ich zunächst
geglaubt habe. Das sind kleine Verbrennungsmarken, im Abstand von zwei
Zentimetern. Auf dem Nachthemd der Toten gab es zwei winzige korrespondierende
Brandflecke, die ihr am Tatort vermutlich deswegen übersehen habt, weil die
Hände der Leiche sie verdeckt haben.«
    »Und woher kommen die Brandmarken?«, fragte Mayfeld.
    Enders zuckte mit den Schultern. »Vielleicht von einem
Elektroschocker. Gestorben ist sie aber daran.« Der Pathologe deutete auf die
Strangulationsmerkmale am Hals der Toten. »Der Kerl, der das getan hat, hat
ziemlich große Hände, Riesenpranken. Und er hatte Handschuhe an. Er hat Frau
Holler erwürgt.«
    Er deutete auf kleine, punktförmige Einblutungen um
den Mund herum und an den Augenlidern.
    »Das sind typische Zeichen beim Tod durch Erwürgen.
Der Tod tritt langsamer ein als beim Erhängen oder Erdrosseln, weil es nicht zu
einer Unterbrechung der Blutversorgung des Gehirns kommt, das Opfer erstickt
vielmehr. Es kommt allerdings zu einer Stauung des Blutflusses in den Venen.
Deswegen die Einblutungen und der aufgedunsene Ausdruck des Gesichts. Das
Zungenbein ist gebrochen und der Kehlkopf gequetscht, auch typische Befunde
beim Tod durch Erwürgen.«
    Mayfeld starrte auf das Gesicht der Toten und grübelte
darüber, was Menschen anderen Menschen antun konnten.
    »Und was hat es mit dem Elektroschocker auf sich?«,
fragte er schließlich.
    »Der hat die Frau vermutlich bewegungsunfähig
gemacht«, antwortete Enders. »Ich befürchte, er hat ihr nicht das Bewusstsein
geraubt. Sie konnte sich bloß nicht mehr wehren, als sie langsam erstickte.«
    Der Gerichtsmediziner machte eine Pause.
    »Da gibt es noch etwas, das du wissen solltest,
Robert«, sagte er dann. »Wagner, helfen Sie mir mal?«
    Die Walküre kam an den Tisch und half, die Leiche zur
Seite zu drehen. Enders zeigte auf violette Flecke rund um das Gesäß der Toten.
    »Das sind Leichenflecken, dort, wo man sie erwartet
bei der Lage, in der die Tote gefunden wurde. Die Körpersäfte, insbesondere das
Blut, folgen der Schwerkraft und sinken so tief sie können. Dann zersetzen sie
sich. Dort, wo der Körper aufliegt, kommt es nicht zu diesen Flecken, sondern
an der Grenze der Auflagefläche. Kannst du mir folgen? Geht es noch, Wagner?«
    Enders Assistentin nickte.
    »Wenn man nun eine Leiche in den ersten sechs Stunden
nach dem Tod umlagert, dann wandern die Leichenflecken entsprechend der
Schwerkraft. In manchen Fällen, zum Beispiel beim Erstickungstod, kommt es
jedoch aufgrund von Verletzungen der kleinen Blutgefäße in der Haut zu
Einblutungen in die Leichenflecken, wir nennen das ›Vibices‹. Und diese Vibices
wandern logischerweise nicht mit. Und jetzt schau dir das an.«
    Enders wandte sich zum Hals der Toten und deutete auf
kleine blaurote Pünktchen, die in der Nachbarschaft der Strangulationsmale und
an den Schultern zu finden waren.
    »Das sind Vibices. Einblutungen in die Totenflecken.
Aber siehst du Totenflecken? Nein.«
    Enders schaute Mayfeld an, als ob er Applaus
erwartete.
    »Sie können die Leiche wieder loslassen, Wagner«,
sagte er, als der Beifall ausblieb. »Sollen wir an die frische Luft gehen,
Robert? Du siehst blass aus.«
    Das war eine gute Idee, fand Mayfeld.
    Sie gingen nach draußen. Dort schien die warme
Herbstsonne durch das bunte Laubdach der Bäume, die um das Friedhofsgebäude
herumstanden. Was für ein Kontrast zu der Bedrückung drinnen im Obduktionssaal,
dachte Mayfeld und schüttelte sich innerlich.
    Enders holte ein silbernes Etui aus seiner
Kitteltasche und nahm eine selbst gedrehte Zigarette für sich heraus. Er hielt
Mayfeld das Etui hin,

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