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Frau Holle ist tot

Frau Holle ist tot

Titel: Frau Holle ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Stark
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1990
verließ.«
    »Hatten Sie seither noch Kontakt zu ihr?«
    »Sie war ja auch eine begnadete Märchenerzählerin. Sie
kam einmal im Jahr hier in unsere Einrichtung und hat einen Märchenabend veranstaltet.
Sie verströmte eine ganz besondere Aura. Selbst Bewohner, die den Sinn ihrer
Worte kaum verstehen konnten, waren von ihrer Stimme angezogen.« Strecker
wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. »Was für ein Verlust für uns
alle!«
    »Gibt es irgendetwas Besonderes im Zusammenhang mit
Frau Dr. Holler, an das Sie sich erinnern?«
    Strecker hob ratlos die Schultern. »Was ich Ihnen
gerade erzählt habe, ist doch schon etwas sehr Besonderes.«
    »Sie sagten, ihr Engagement habe Ihnen gefallen. Das
war aber bestimmt nicht bei allen Mitarbeitern so.«
    Streckers Gesicht wurde verschlossener. »Die Zeit, in
der sie bei uns gearbeitet hat, war eine Zeit großer Umbrüche in der
Heilerziehung und in der Psychiatrie, wenn Sie das meinen. Sylvia Holler war
eine charismatische und, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, auch eine
sehr attraktive Frau, die keinen Hehl daraus machte, dass sie die
Lebensauffassung der katholischen Kirche nicht in allen Punkten teilte.
Natürlich rief so etwas Widerstand hervor. Aber Sie glauben doch nicht, dass
der Mord etwas mit ihrer Zeit hier im Vincenzstift zu tun hat?«
    »Hatte sie Feinde?«
    »Das ist absurd«, rief der Prälat empört. »Es gab
Menschen, mit denen sie Meinungsverschiedenheiten hatte, ja. Aber ich kenne
niemanden, der ihr Feind gewesen sein könnte.«
    »Es gab in der Vergangenheit immer wieder Vorwürfe
gegen das Jugendheim Marienhausen und das Vincenzstift«, hakte Mayfeld nach.
    »Es kursieren immer noch aberwitzige Gerüchte über die
Zustände in unserer Einrichtung, und je weiter Sie in die Vergangenheit gehen,
umso absurder werden diese Gerüchte. Prügelnde Nonnen, sexueller Missbrauch
durch Erzieher, all das. Ich bin seit über dreißig Jahren hier tätig, und ich
kann Ihnen versichern, dass der Großteil dieser Anschuldigungen frei erfunden
und der Feindschaft der Leute, die sie erheben, gegen den Träger des
Vincenzstiftes, gegen die katholische Kirche, geschuldet ist. Aber ich will
nicht hochmütig oder selbstgerecht wirken. Es gab leider auch bedauerliche
Verfehlungen. Das, was an den Vorwürfen dran war, haben wir aufgeklärt und in
Ordnung gebracht. Und wir sind selbstverständlich auch weiterhin offen für die
Aufarbeitung der Vergangenheit. Wir haben sogar eine Kommission eingesetzt.«
    »Was war an den Vorwürfen dran?«
    »Es tut mir sehr leid. Aber ich glaube nicht, dass ich
befugt bin, Ihnen darüber Auskunft zu erteilen. Es geht um sehr sensible und
private Dinge. Die betroffenen Opfer haben ein Recht auf Diskretion und
Schutz.«
    Mayfeld hatte Zweifel daran, wer da geschützt werden
sollte.
    »Bei den Dingen, die wir aufzuklären die traurige
Pflicht hatten, spielte Frau Holler keine Rolle, nicht als Mitarbeiterin, die
etwas aufgedeckt hat, und schon gar nicht als Beschuldigte«, fügte der Prälat
hinzu.
    »Man kann nie ausschließen, dass die Motive für eine
Gewalttat weit in die Vergangenheit zurückreichen. Es liegt mir fern, irgendwen
zu verdächtigen. Zum jetzigen Zeitpunkt sammelt die Polizei nur Informationen.«
    »Und bei uns fangen Sie an«, grollte Strecker und
schlug mit der flachen Hand auf die vor ihm liegende Kladde. Dann sammelte er
sich und faltete die Hände wieder. »Wir hatten damals schwierige und bewegte
Zeiten. Natürlich gab es in einer so großen Institution im Umbruch Konflikte.
Und Sylvia Holler mischte sich ein. Sie mischte sich immer ein. Aber allein aus
der Tatsache, dass wir sie jedes Jahr zu einem Vortrag eingeladen haben, können
Sie ersehen, dass da nichts Böses zwischen ihr und dem Vincenzstift
zurückgeblieben ist.«
    »Zwischen ihr und dem Vincenzstift nicht. Aber
vielleicht zwischen ihr und einzelnen Mitarbeitern?«
    Strecker schüttelte unwillig den Kopf. »Sie sind
hartnäckig.«
    »Oder zwischen ihr und Bewohnern des Stiftes?«
    Strecker schüttelte wieder den Kopf. »Die haben sie
alle verehrt.«
    »Sagt Ihnen der Name ›Knuth‹ etwas?«
    »Ein Name aus dem Althochdeutschen. Er bedeutet
entweder ›adelig‹ oder ›vermessen‹. Die Onomastik ist mein Hobby.«
    Ein gebildeter Prälat, wie schön. »Gibt oder gab es
einen Knuth in Ihrer Einrichtung, einen Knuth S.?«
    Strecker strich sich wieder durch seinen Bart. »Da
muss ich nachdenken.« Nach einer Weile stand er auf, ging zu einem

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