Frau Holle ist tot
musste
er hier Knuth Schneider finden.
An der Kreuzung des Feldwegs mit einem Hohlweg, der
von Rüdesheim zur Jugendherberge hinaufführte, hielt er an.
Das Handy klingelte. Es war Meyer.
»Ich bin fündig geworden. Knuth Schneider ist in
Rüdesheim in der Hugo-Asbach-Straße gemeldet. Er wurde am 2. April 1961 in
Koblenz geboren und ist der Polizei seit 1987 mehrfach aufgefallen. Dreimal
wurde gegen ihn wegen des Verdachts auf pädophile Vergehen ermittelt, in einem
Fall kam es zur Verurteilung zu einer Geldstrafe, weil er sich vor einer
Zehnjährigen entblößt hatte. In späteren Fällen reichte die Beweislage nicht
für eine Verurteilung. Ein kleines Dreckschwein mit Hang zu jungen Mädchen.«
»Danke, Hartmut.« Mayfeld beendete das Gespräch, stieg
aus dem Wagen und sah sich um.
Im Osten erhoben sich die graubraunen Doppeltürme der
Abtei St. Hildegard über den Hügeln in den Himmel, im Westen wachte eine
verhüllte Germania über das Rheintal. Die herbstlichen Farben des Laubs von
Wald und Weinbergen leuchteten in der Nachmittagssonne. Hundert Meter entfernt
von ihm stand ein Transporter des Weinguts Brauner. Eine mollige Frau teilte
heiße Getränke an die versammelten Erntehelfer aus. Er ging auf die Gruppe zu.
»Wer von Ihnen ist Knuth Schneider?«
Ein Mann, der deutlich älter als fünfzig aussah, löste
sich aus der Gruppe. Er trug verschlissene Jeans, einen ausgebleichten Parka
und einen breitkrempigen Lederhut. Sein faltiges Gesicht war unrasiert, unter
buschigen grauen Brauen blickten misstrauische Augen auf Mayfeld.
»Das bin ich.«
Mayfeld zeigte Schneider seinen Dienstausweis. »Ich
habe einige Fragen an Sie. Vielleicht gehen wir ein paar Schritte.«
»Hört das denn nie auf mit den Belästigungen durch die
Polizei?«, fragte Schneider, folgte dann aber der Aufforderung Mayfelds und
entfernte sich mit dem Kommissar von der Gruppe der Kollegen. »Sogar am
Arbeitsplatz wird man bloßgestellt wegen oller Kamellen, die über zwanzig Jahre
zurückliegen. Und die wahren Schuldigen lässt man ungeschoren davonkommen.«
»Sie wissen schon, weswegen ich zu Ihnen komme? Das
überrascht mich«, antwortete Mayfeld kühl.
Schneider knurrte etwas Unverständliches. »Na los,
rücken Sie schon raus damit. Was wollen Sie mir anhängen?«
Prälat Strecker hatte recht gehabt mit seiner Beschreibung
von Schneider. Die Rolle der verfolgten Unschuld schien ihm zu gefallen.
»Was meinen Sie denn mit den wahren Schuldigen?« Sie
waren an Mayfelds Volvo angekommen. Auf eine Frage wie diese schien Schneider
nur gewartet zu haben. Er begann mit einer ausführlichen Schilderung seines
Lebens.
»Meine Mutter war zwanzig, als sie mich bekam. Hatte
keinen Mann und keinen Ehering. Können Sie sich vorstellen, was das in einem
katholischen Kaff irgendwo hinter Koblenz bedeutet hat? Als ich drei war, hat
sie sich vom Acker gemacht, weil sie das Geschwätz und die Verachtung der
braven Bürger nicht mehr aushielt.«
Nach dem Freitod der Mutter begann der Leidensweg von
Schneider, der ihn über mehrere Pflegefamilien, die sich alle nicht richtig um
ihn kümmerten, schließlich ins Jugendheim Marienhausen führte. Die Geschichte,
die Schneider vortrug, war eine einzige Anklage gegen Heuchelei, Pharisäertum
und sexuelle Übergriffe hinter der Fassade christlicher Barmherzigkeit,
vorgetragen in einer eigentümlichen Mischung aus Routiniertheit und
Verbitterung.
»Ich habe schon immer gegen diese Ungerechtigkeit
angekämpft, aber mir hat nie jemand geglaubt. Ich wurde als Spinner abgetan und
diffamiert. Jetzt, in den letzten Jahren, trauen sich mehr Leute, was zu sagen,
jetzt werden die Herrschaften da oben etwas kleinlauter. Oder tun erst mal so,
bis der Sturm vorüber ist.«
»Und trotz Ihrer schlimmen Erfahrungen sollen Sie
mehrfach Kinder sexuell belästigt haben.«
Schneider spuckte vor sich auf den Boden. »Ich wurde
ein einziges Mal verurteilt«, sagte er mit rauer Stimme. »Wegen einer
Kleinigkeit. Ich hab nie jemandem Gewalt angetan. Alles wurde von hysterischen
Eltern aufgebauscht. Wahrscheinlich wurden die von ihren Pfarrern aufgehetzt,
die mich alle kennen. Was wollen Sie eigentlich von mir?«
»Diesmal geht es um etwas anderes. Kennen Sie Sylvia
Holler?«
»Klar kenne ich die. Was ist mit ihr?«
»Sie ist tot.«
Schneider spuckte nochmals aus und ging den Feldweg
weiter Richtung Straße. »Und was habe ich damit zu tun?«
Mayfeld folgte Schneider und musterte ihn von der
Seite. Er schien nicht
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