Frau Holle ist tot
auf
die Fotos. »Fällt Ihnen dazu etwas ein?«
Es war eine echte Therapeutenfrage, die er da stellte.
»Frau Holle«, sagte Friedensreich. »Die Erdgöttin, die
Frau mit den langen Zähnen.«
»Die die Guten belohnt und die Bösen bestraft«, fügte
von Altenburg-Regen hinzu.
»Die böse Mutter und die gute Mutter«, ergänzte van
Dyke.
»Jemand hat den Brunnen, das Brot im Ofen und den
Apfelbaum dargestellt«, sagte Amelia Meinhard und deutete auf drei der
Fotoabzüge. »Er oder sie kennt das Märchen ziemlich gut.«
»Die vielen anderen Tierfiguren, die Puppen, die
Märchenfiguren, die stehen für Triebrepräsentanten«, meinte Krafft.
»Es ist, als ob ihr jemand ein Denkmal setzen wollte«,
sagte van Dyke.
»Vielleicht eine Wiedergutmachung aus Schuldgefühlen
heraus«, überlegte von Altenburg-Regen.
»Er oder sie will ein Rätsel aufgeben«, ergänzte
Felsen.
»Oder das Ganze hat gar keine Bedeutung«, wandte
Felsenstedt ein. »Jemand will bloß eine falsche Spur legen.«
Das Arrangement schien in den Augen der meisten
Kollegen von Holler einer Gesetzmäßigkeit zu folgen, der Arrangeur schien das
Märchen von Frau Holle genau zu kennen. Aber brachte ihn diese Erkenntnis bei
der Aufklärung des Mordes weiter?
Er beschloss, das Thema zu wechseln. »Ich habe noch
eine letzte Frage: Wie hat Frau Holler ihre Arbeit dokumentiert? Wie hat sie
abgerechnet, wie hat sie Rechnungen geschrieben?«
»Alles natürlich mit Computer«, antwortete von
Altenburg-Regen. »Sie war die Erste von uns, die ihre gesamte
Praxisorganisation auf PC umgestellt hat.
Dokumentation, Terminverwaltung, Berichte an die Gutachter, das hat sie alles
auf ihrem Notebook geschrieben. Die Abrechnung müssen wir ja sowieso per EDV und Internet machen.«
»Sie hatte ihr Notebook immer dabei«, ergänzte
Meinhard. »Die Protokolle unserer Sitzungen hat sie immer gleich in den
Computer hineingetippt.«
»Ich hänge ja noch am Papier«, sagte von
Altenburg-Regen, »aber sie war eine Anhängerin des papierlosen Büros. Sie hat
das ganz systematisch betrieben, inklusive Datensicherung. Würde man gar nicht
vermuten bei jemandem, der sich einen Namen als Märchenerzählerin gemacht hat.«
»Wissen Sie, wie sie ihre Daten gesichert hat?«,
fragte Mayfeld.
»Wir haben uns mal drüber unterhalten«, sagte von
Altenburg-Regen. »Ich meine, sie hat sie täglich auf einem USB -Stick gespeichert und einmal im Monat auf DVD .«
»Und was hat sie gesichert?«
»Die Dokumentation der Sitzungen, den Kalender und die
Abrechnungsdaten, was man halt so braucht in einer psychotherapeutischen
Praxis.«
»Brauchen Sie denn gar keine Dokumente in Papierform?«
»Fast gar nichts mehr«, antwortete von
Altenburg-Regen. Ȇberweisungsscheine brauchte Sylvia als Kinder- und
Jugendtherapeutin nicht, da bleiben eigentlich nur die Kostenzusagen der
Krankenkassen für die Therapien. Die schicken das noch per Post und auf
Papier.«
Mayfeld ließ sich das bürokratische Prozedere bei der
Beantragung und Abrechnung einer Psychotherapie erklären. Danach verabschiedete
er sich von der Gruppe.
»Ich habe nicht den Eindruck, dass wir Ihnen wirklich
weiterhelfen konnten«, sagte Eva Felsen bedauernd, als sie ihn zur Tür brachte.
Da war sich Mayfeld nicht so sicher.
Der Kies knirschte unter den Reifen des alten
Volvos. Mayfeld stieg aus und tätschelte zum Abschied das Dach des Wagens. Dann
ging er zu der alten Villa am Rhein und stieg die Treppen zu seiner Wohnung
hoch.
Er öffnete die Wohnungstür. Der Duft von geschmortem
Wildbret schlug ihm entgegen. Am großen Esstisch im Wohnzimmer saß Julia und
blätterte in alten Fotoalben.
»Anstrengender Tag?«, fragte sie.
Er beugte sich zu ihr hinunter und gab ihr einen Kuss.
»Kann man so sagen. Erst eine Besprechung mit Lackauf.
Für heute ist es mir gelungen, das Ekel zu neutralisieren, aber der wird keine
Ruhe geben. Dann die Obduktion von Holler und jede Menge Befragungen.«
»Was war denn so wichtig, dass du heute Abend noch mal
weg musstest?« Ein leichter Tadel schwang in der Frage mit.
»Ein Treffen von Hollers Kollegen. Ich habe sie alle
auf einen Schlag befragen können. Ich weiß noch nicht, ob es sich gelohnt hat.
Es hat auf jeden Fall Zeit gespart.«
Er ging in die Küche und warf einen Blick in den
Bräter auf dem Herd.
»Ich habe Wildragout aus der Straußwirtschaft
mitgebracht. Machst du einen Spätburgunder auf?«, rief Julia.
Mayfeld holte eine Flasche aus dem Weinregal, öffnete
sie und
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