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Frau Holle ist tot

Frau Holle ist tot

Titel: Frau Holle ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Stark
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brachte sie zusammen mit zwei Gläsern an den Tisch, während Julia in
die Küche ging und dort zwei Teller mit Nudeln und Ragout anrichtete.
    »Hast du die Kollegen gefragt, was ihnen zu dem
Arrangement einfällt, in dem du die arme Sylvia Holler aufgefunden hast?«,
fragte sie, als sie sich an den Esstisch gesetzt hatte. Sie drehte sich Nudeln
auf die Gabel und aß mit gutem Appetit.
    »Sie sind der Meinung, dass da jemand am Werk war, der
das Märchen in allen Einzelheiten kennt.« Mayfeld stocherte unentschieden in
dem Ragout auf seinem Teller herum.
    »Das ist auch meine Meinung gewesen. Hast du keinen
Hunger?«
    Mayfeld gab sich einen Ruck und probierte von dem
Essen. Es schmeckte köstlich.
    »Ist dir die Obduktion auf den Magen geschlagen oder
Lackauf?«, wollte Julia wissen.
    Mayfeld nahm einen weiteren Bissen. »Ich glaube, die
Obduktion. Für Lackauf wäre das zu viel der Ehre.«
    Seit einigen Monaten war sein Verhältnis zu dem
Staatsanwalt völlig zerrüttet, und die Arbeit der Polizei sah Mayfeld seither
sehr kritisch, zumindest das, was sich die politische Führung darunter
vorstellte.
    Im Frühjahr hatte Mayfeld seine Mutter in Stuttgart
besucht und war mit ihr zusammen auf eine Demonstration gegen den dort
geplanten Tiefbahnhof gegangen. Der Stuttgarter Bahnhof war ihm bis zu diesem
Zeitpunkt herzlich gleichgültig gewesen, aber seine Mutter, eine durch und
durch bürgerliche Dame, die sich früher nur für ihr Handicap beim Golf und ihre
Orchideenzucht interessiert hatte, hatte dermaßen engagiert und beseelt auf ihn
eingeredet, dass er gar nicht anders gekonnt hatte, als sie auf die Kundgebung
zu begleiten.
    Natürlich hatte er auch schon vorher gewusst, dass der
Einsatz der Polizei auf Demonstrationen nicht immer so vonstattenging, wie man
sich das nach der Lektüre des Grundgesetzes vorstellte. Aber die abstrakte
Erkenntnis war die eine Sache, zu erleben, wie Kollegen die eigene Mutter erst
mit einem Wasserwerfer niedermähten und dann mit Pfefferspray attackierten, war
etwas anderes. Selbstverständlich war Mayfeld seiner Mutter zu Hilfe geeilt und
hatte sich dafür eine Anzeige wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und in
der Folge ein Disziplinarverfahren eingehandelt.
    Auf wenig Gegenliebe war auch sein offener Brief an
den Innenminister des Landes gestoßen, in dem er den Einsatz hessischer
Bereitschaftspolizisten beim Niederknüppeln von Stuttgarter Demonstranten
kritisiert hatte. Polizisten mit einer eigenen Meinung standen hier schon seit
Längerem nicht hoch im Kurs.
    »Wenn es nach Lackauf ginge, wäre ich schon längst vom
Dienst suspendiert. Er wartet auf den kleinsten Fehler, um mich in die Pfanne
zu hauen. Wahrscheinlich denkt er, dass er sich damit bei der politischen
Führung beliebt machen kann. Wahrscheinlich hat er mit dieser Überlegung sogar
recht.«
    Julia strich über seine Hand.
    »Du hast in dieser Sache alles richtig gemacht. Mein
Vater wird sich in den nächsten Jahren von der Arbeit zurückziehen. Nach dem
Tod von Onkel Theo hat das Weingut ab dem nächsten Jahr sechs Hektar Weinberge
mehr zu bewirtschaften. Dann braucht Franz mehr Unterstützung. Es gibt ein
Leben nach dem Polizeidienst.«
    Darüber hatte Mayfeld auch schon nachgedacht. »Vor so
einem aufgeblasenen Opportunisten wie Lackauf werde ich nicht zurückweichen«,
sagte er mit Bestimmtheit.
    Julia seufzte. »Ich glaube nicht, dass du noch
irgendwem deinen Mut beweisen musst. Mir jedenfalls nicht. Es geht doch nicht
darum, wer vor wem zurückweicht, es geht um deine und unsere Lebensqualität.«
    »Es geht auch darum, ob einer wie ich vor einem wie
Lackauf zurückweicht. Das Signal für die Kollegen, die noch nicht komplett weichgespült
sind, wäre verheerend.« Er trank einen Schluck Spätburgunder. »Aber den Abend
werde ich mir von dieser Kanaille nicht verderben lassen.«
    Er warf Julia einen Luftkuss zu und lächelte.
    »Das klingt vielversprechend«, antwortete sie und
lächelte zurück.
    ***
    »Und man darf hier auf der ganzen Station nicht
rauchen? Ohne Ausnahme?«
    Der Pfleger im blauen Kittel schüttelte den Kopf. Das
hatte Herbert Mayfeld befürchtet. Er musste hier so schnell wie möglich wieder
wegkommen. Intensivstation, so ein Theater!
    Als er vergangene Woche mit seiner Harley am
Rüdesheimer Krankenhaus vorgefahren war, um einen Kardiologen nach seinem
stolpernden Herzen sehen zu lassen, da hatte er das nur getan, damit sein
Hausarzt endlich mit seiner Nörgelei aufhörte und Ruhe gab.

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