Frau Holle ist tot
angeschlossen war, entledigt. Jetzt würde gleich
einer der blau gekleideten Pfleger kommen und nach dem Rechten schauen.
Der Besucher verließ die Box und entfernte sich. Als
er an der Glastür zum Lichtschacht vorbeikam, würdigte er Mayfeld keines
Blickes. Gut so. Der Mann hatte bei ihm nicht das Gefühl geweckt, dass er ihn
gern kennenlernen würde.
Die Frau im Flügelhemd kam auf das Fenster zu und
blickte ihn von drinnen an. Mayfeld hatte sich etwas zurückgezogen und winkte
ihr zu. Er erkannte den Pfleger von vorhin, der zu der Frau in die Box kam. Er
schien verärgert zu sein. Die Frau deutete zum Fenster hinaus. Mayfeld nahm
einen tiefen Zug, nur für den Fall, dass sein Asyl in der Raucherzone gleich
wieder beendet sein sollte.
Jetzt ging der Pfleger zur Tasche der Patientin, holte
etwas heraus und reichte es der Frau, die es sich überzog. Die Frau verließ die
Box, der Pfleger schaltete den Alarm an der Überwachungseinheit aus.
Eine halbe Minute später stand die junge Frau dem
alten Mayfeld gegenüber. Sie trug über dem Flügelhemd einen schwarzen Kimono
mit bunten Stickereien, die Blumen und Vögel darstellten. Auf dem Kopf trug sie
eine dunkle Wollmütze, unter der widerspenstige schwarze Haarsträhnen hervorlugten.
Die Frau war höchstens zwanzig, hatte Ringe um die Augen und einen unruhigen
Blick.
»Na, du alter Spanner, haste mal ’ne Kippe für mich?«,
begrüßte sie Mayfeld.
Der reichte ihr eine Zigarette und gab ihr Feuer,
zündete sich selbst eine neue an.
»Ich hatte den Eindruck, Sie wären in
Schwierigkeiten.«
Die Frau schaute sich um. »Ist wirklich ein total
crazy Ort zum Spannen. Stehst du auf perverse Sachen?«
»Kannst du auch was anderes als Müll reden?«
Mayfeld hatte nicht vor, sich von der Göre auf der
Nase herumtanzen zu lassen, und von seiner Enkeltochter Lisa kannte er das
passende Vokabular für ein Mädchen wie das, das vor ihm stand.
»Wow!« Die junge Frau schien beeindruckt.
»Ich heiße Herbert. Und du?«
»Annika.«
»Ein schöner Name. Bei Astrid Lindgren war das eine
ganz Brave.«
Annika überlegte einen Moment. Dann prustete sie los.
»Bei Pippi Langstrumpf, stimmt! Da muss bei mir irgendetwas total
schiefgelaufen sein.« Sie zog an ihrer Zigarette und schien nachzudenken.
Als ein Geräusch von der Station nach außen drang,
fuhr sie erschrocken herum und starrte durch die Glastür auf den Flur. Aber da
war nur der Pfleger, der Annika und Mayfeld zuwinkte.
»Scheinst ganz schön im Stress zu sein.«
Annika nickte. Ihre schwarzen Augen schauten ihn
ängstlich an. Ziemlich ängstlich. Die Angst sprang Mayfeld förmlich an.
»Sie sind hinter mir her. Aber das glaubst du mir ja
sowieso nicht. Sie wollten mich vergiften, und jetzt stellen sie es so dar,
dass ich mich mit Alkohol und Tabletten umbringen wollte. Und morgen kommt ein
Psychiater, dann wollen sie mich in die Klapse stecken.«
Sie machte eine Pause zum Rauchen.
»Und, reicht es dir jetzt mit mir? Hast du jetzt Angst
vor der kleinen Irren? Scheiße, warum rede ich überhaupt mit dir, vielleicht
gehörst du ja zu denen, vielleicht bist du ein Spion.«
Sie schaute wieder ins Stationsinnere. Der Pfleger
hantierte in Sichtweite an einem Wagen, auf dem Bettwäsche gestapelt war.
Mayfeld kannte sich aus mit der Psychiatrie. Bis vor
einigen Jahren hatte er immer wieder an Schüben einer manisch-depressiven
Erkrankung gelitten und war oft zwangseingewiesen worden.
»Wollen Sie dich auf den Eichberg schaffen?«
»Ins Valentinushaus, das soll noch schlimmer sein.«
»Stimmt, da wollten sie mich mal elektroschocken.«
Jetzt war es ihm gelungen, die junge Frau ein zweites
Mal zu überraschen.
»Jetzt ohne Scheiß?«
»Voll ohne Scheiß. Aber ich hab mir das nicht gefallen
lassen.«
Er hatte einfach nur keine Einverständniserklärung
unterschrieben. Das hatte gereicht, aber dieses Detail klang nicht ganz so
heldenhaft, deswegen erwähnte er es lieber nicht. Er war damals ziemlich
depressiv gewesen und hatte keinerlei Lebensmut mehr verspürt. Vielleicht war
es doch heldenhaft gewesen, den Ärzten in so einer Verfassung zu widersprechen.
Annika versenkte ihre Kippe in dem Plastikbecher neben
der Tür. »Haste noch eine?«
Mayfeld gab ihr eine weitere Zigarette.
»Ich war früher oft in der Psychiatrie. Manchmal
helfen die einem dort sogar. Aber das mit den Zwangseinweisungen ist eine üble
Sache.«
»Glaubst du mir?«
Annika zog hastig an der Zigarette und trat unruhig
von einem Bein
Weitere Kostenlose Bücher