Frau Holle ist tot
Krankenhaus«, sagte die
Stationsschwester.
Sie blickte missbilligend erst zu Mayfeld, dann zu Möller.
»Wenn Sie weiter mit Frau Möller reden wollen, geht
das nur mit Genehmigung unserer Ärztin, oder am besten gleich des Chefs«, fügte
sie in resolutem Ton hinzu.
»Falls dir nach Reden ist, ruf mich an«, sagte Mayfeld
zu Annika. Er warf eine Karte auf ihr Bett. »So eine Scheißangst würde ich
nicht in mich hineinfressen.« Er verließ das Krankenzimmer.
»Fick dich!«, brüllte sie ihm hinterher.
Mayfeld betrat den neuen Gastraum des Weinguts
Leberlein. Er befand sich in einer Art Wintergarten, der sich vom Haupthaus
entlang der Hofmauer bis zur Kelterhalle hinzog und den Innenhof des Anwesens
etwa zur Hälfte einnahm. Die Bruchsteinmauern der alten Gebäude bildeten mit
der filigranen Konstruktion aus Aluminium und Glas einen reizvollen Kontrast.
Nun hatten die Leberleins doppelt so viel Platz wie früher. Dennoch saßen die
Gäste dicht gedrängt an den groben Holztischen.
Der Raum war erfüllt vom Gerede, Geplapper und Gejohle
der Menge. Vielleicht wäre eine schallschluckende Decke eine gute Idee gewesen,
dachte Mayfeld. Vielleicht sollte man sie noch nachträglich einziehen. Mit
einem derartigen Ansturm hatte niemand gerechnet. Schuld daran war neben den
großartigen Weinen von Mayfelds Schwager und Schwiegervater vor allem Julias
überragende Kochkunst.
»Hier sind wir, Robert!«, rief jemand.
Mayfeld schaute sich um. Am Stammtisch saßen Gertrud
und Klaus Beckerle sowie Doris und Peter Nachtweih, das »Straußwirtschaftliche
Quartett«. Gertrud, von allen nur »die Trude« genannt, winkte ihm zu.
Mayfeld ging zu dem Tisch und wurde mit großem Hallo
begrüßt. Ihrer Stimmung nach zu urteilen, saßen die vier schon eine Weile hier
und hatten bereits das eine oder andere Glas Wein getrunken.
»Also, die Wildbuletten mit dem Kartoffelstampf und
den Steinpilzen sind große Klasse«, schwärmte Trude, eine rundliche Frau mit
rosigem Gesicht. »Sag der Julia ein großes Kompliment. Vorneweg hatte ich ein
Kürbissüppchen, das war auch genial. So ein runder Geschmack.«
»Die Suppe schmeckt rund und macht rund!« Klaus
Beckerle, den alle wegen seiner Kopfbedeckung nur »Batschkapp« nannten, war für
seine schlechten Witze berüchtigt.
»Würde dir altem Klappergestell auch guttun«, meinte
Trude.
»Du hast Arbeit bekommen«, sagte Peter Nachtweih,
alias »Gucki«, zu Mayfeld.
»Das weiß er von mir«, stellte seine Frau Doris, die
wegen ihrer Haare und ihrer politischen Gesinnung im Freundeskreis die »Rote
Zora« hieß, fest.
»Unser Rheingauer Bote«, ergänzte Batschkapp.
»Rheingauer Botin«, korrigierte Zora.
»Woher weißt du das?«, fragte Mayfeld.
Zora konnte sich ein triumphierendes Lächeln nicht
verkneifen. »Die Frau Russmann trifft sich jeden Montag mit Lore Werner, einer
Jahrgangskameradin, in der Martinsthaler Krone auf einen Schoppen.«
»Oder zwei oder drei«, warf Batschkapp ein.
»Sind noch ganz schön rüstig, die beiden Alten«, fuhr
Zora fort. »Gestern hat Frau Russmann der Lore erzählt, was mit ihrer
Nachbarin, Frau Dr. Holler, passiert ist. Und Lore hat mit ihrer Tochter
telefoniert, die gestern Abend Besuch von unserer Nachbarin hatte. Und mit der
hatte ich heute Mittag, als ich von der Schule nach Hause kam, einen kleinen
Plausch.«
»Wir sind schneller als der Wiesbadener Kurier und das
Tagblatt«, stellte Gucki nicht ohne Stolz fest. »Hier bleibt nichts lange
geheim.«
»Morgen steht es in der Zeitung«, sagte Mayfeld.
»Sag ich doch«, entgegnete Gucki. »Wir sind
schneller.«
»Was willst du wissen, Robert?« Zora kam zur Sache.
»Du sagst doch immer, die Ermittlungen in der Straußwirtschaft sind dir die
liebsten.«
Mayfeld holte eine Flasche Rauenthaler Rothenberg aus dem
Weinschrank, der in der Ecke des Gastraums stand. Er öffnete die Flasche,
füllte die Gläser und prostete seinen Freunden zu. Lisa kam an den Tisch, und
Trude bestellte eine weitere Portion Wildbuletten.
»Ihr wisst also, dass Frau Dr. Holler aus Martinsthal
am Samstag ermordet wurde«, begann Mayfeld. »Kanntet ihr sie?«
»Wir kennen sie alle«, behauptete Gucki. »Ich hab die
Plakate für ihr letztes Programm gemacht. ›Frau Holle und die Märchenharfe‹.«
Peter Nachtweih betrieb in Eltville ein Fotoatelier,
den »Guckkasten«, von dem sich sein Spitzname herleitete.
»Eine sehr nette Frau.«
»Ist die nicht mit einem jungen Mann zusammen«, fragte
Trude, »einem
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