Frau Holle ist tot
Wahrscheinlich ein beschissenes Video. Von einem Video hatte
sie gesprochen, bevor sie weggedämmert war. Und das wollte Kevin jetzt haben.
»Gerade noch solltest du Annika das Handy
zurückbringen, und jetzt willst du eine Karte haben, die angeblich dir gehört.
Was geht hier eigentlich ab?«
Sie rannte zum Zimmer hinaus und stand in einem Flur
mit mehreren Türen. Irgendwo aus dem Haus kamen Geräusche. Einen Moment zögerte
sie, in welche Richtung sie weiter sollte, da hatte Kevin sie an den Haaren
gepackt und herumgerissen.
»Jetzt sei nicht so störrisch, du blöde Kuh«, zischte
er.
Sie schlug nach dem Arm, mit dem er sie festhielt, er
schlug ihr mit der anderen Hand ins Gesicht. Eine warme Flüssigkeit sickerte
über ihren Mund.
In dem Moment öffnete sich eine der Türen, und Basti
erschien im Türrahmen.
»Nicht schlagen«, brüllte er und stürzte sich auf
Kevin.
Der wich zurück, Marie riss sich los, rannte davon und
stolperte über einen Läufer. Sie fiel auf den Boden, ihr Kopf schlug auf den
Holzboden auf, die Schmerzen im Brustkorb, am Knöchel und im Handgelenk waren
wieder da, so als ob sie nie weg gewesen wären. Sie rappelte sich auf und schaute
zu Basti und Kevin.
Kevin hatte ein Messer gezückt und stach nach Basti.
Der hatte nach einem Stuhl gegriffen und hielt sich damit den Angreifer vom
Leib.
»Renn!«, schrie Kevin.
Marie wollte losrennen, doch sie wusste nicht, wohin.
Außerdem würde Kevin sie verfolgen, und dann wäre sie in seiner Gewalt. Wie er
da mit dem Messer herumfuchtelte, hatte sie Angst vor ihm.
»Renn weg, du blöde Kuh!«
»Die Marie ist keine blöde Kuh«, brüllte Basti.
»Knüppel, aus dem Sack!« Er schlug mit dem Stuhl nach Kevin und traf ihn am
rechten Arm.
Kevin ließ das Messer fallen. Basti griff danach und
stach seinerseits zu. Kevin blutete am Arm.
»Blut!«, rief Basti und warf das Messer in eine
entfernte Ecke.
Marie starrte die beiden wie gelähmt an.
Basti holte zum nächsten Schlag aus, Kevin drehte sich
weg, der Stuhl sauste knapp an seinem Kopf vorbei. Kevin schlug mit dem linken,
unverletzten Arm nach Basti, kratzte ihm mit den Fingern über das Gesicht und
hinterließ eine hässliche Wunde. Basti schrie auf und hielt sich die verletzte
Wange, Kevin drehte sich um, raste an ihr vorbei, stürzte durch die Tür, in der
Basti einige Minuten zuvor erschienen war, und verschwand.
Basti rannte ihm hinterher, doch vor der Tür hielt er
inne.
»Ich will Gnade vor Recht ergehen lassen, aber hüte dich
vor Schaden. Knüppel, in den Sack!«
Basti stellte den Stuhl an die Wand und drehte sich zu
Marie um. Erst jetzt bemerkte sie einen roten Fleck an seinem linken Unterarm.
»Du bist verletzt!«
Basti blickte an sich herunter, schaute auf den roten
Fleck am Ärmel seines Pullovers. »Ououououou.« Er versuchte, das Blut an der
Tapete abzuwischen.
Marie hatte vor nicht allzu langer Zeit einen
Erste-Hilfe-Kurs gemacht, an den sie sich nun erinnerte. Sie fragte Basti nach
einem Verbandskasten. Der starrte immer noch auf seinen Arm. Marie wiederholte
ihre Frage. Schließlich riss sich Basti von der Betrachtung des Blutflecks los
und stapfte durch die Tür, durch die er gekommen und Kevin verschwunden war.
Marie folgte ihm. Sie kamen in eine Diele, von der eine Treppe ins Obergeschoss
des Hauses führte.
»Da!« Basti wies auf einen weißen Kasten mit rotem
Kreuz neben der Treppe.
Sie öffnete den Kasten. Gleich vorn stand eine
Spraydose mit Alkohol, daneben lag eine Mullbinde.
»Setz dich«, befahl sie Basti und wies auf einen Stuhl
in der Nähe.
Er setzte sich brav hin.
»Zieh den Pulli aus!«
Basti gehorchte. Unter dem Pulli hatte er nur ein T-Shirt
an. Marie kannte sich mit Wunden nicht aus, aber der Schnitt sah nicht
besonders tief aus. Sie sprühte Alkohol darauf, dann verband sie den Arm, wie
sie es in dem Kurs gelernt hatte. Basti beobachtete jeden ihrer Handgriffe, was
sie ein bisschen nervös machte. Dann sprühte sie Alkohol auf die Kratzer im
Gesicht und wischte das Blut ab.
»Krieg ich jetzt eine Blutvergiftung?«, fragte er, als
sie fertig war.
Keine Ahnung, dachte sie. »Bestimmt nicht«, sagte sie
stattdessen.
»Gut.« Basti schien erleichtert. Er zupfte an dem
Verband herum. »Den soll ich jetzt in Ruhe lassen, stimmt’s?«
Marie nickte.
»Das war ein böser Mann, stimmt’s?«
Marie nickte wieder.
»Ein Einbrecher. Hat er dich gesucht?«
Was sollte sie darauf bloß antworten?
»Er hat dich geschlagen, und er hat gesagt,
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