Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)
wachte.
Die Diele verkümmerte nach Oma Annetjes Weggang zu einem gähnenden Loch. Was nicht in das Appartement in Baarn gepasst hatte, war dort zurückgeblieben. Mary wollte nichts davon aufbewahren. Sogar die Pflanzen in Oma Annetjes gekacheltem Blumenbehälter waren ihr ein Dorn im Auge.
»Weg«, sagte Mary zu Oma Annetjes Bärlapp, Geranien und Passionsblumen. Der Behälter wurde leer geräumt, vertrocknete Pflanzenwurzeln, tote Asseln, Blätterreste, Sand und Staub wurden schubkarrenweise zum Komposthaufen geschafft. Der Behälter wurde mit Spanplatten zugezimmert, die so entstandene ›Fensterbank‹ vollgestellt mit Marys Vasen und Pöttchen, besonderen Steinen und einem selbst gemachten Trockenbouquet.
Oma Annetjes schwere Sessel wurden durch leichte Rattanmöbel ersetzt. Auch der antike runde Tisch musste weg. Mary trieb ein etwas kleineres Exemplar auf, ebenso ausziehbar, das nach der Behandlung mit Abbeizmittel, geschmirgelt und glänzend weiß lackiert, ein völlig anderes Bild ergab – ihr zufolge. »Weg damit!«, sagte Mary zu Oma Annetjes zurückgebliebenen Perserteppichen. Sie rief den Lumpensammler an und kaufte eine runde Kokosmatte, die sich frisch abhob gegen die roten Fliesen.
»Weg damit!«, sagte Mary zu Oma Annetjes schweren Samtvorhängen. Neue Vorhänge hielt sie für überflüssig, niemand schaute ja vom Wald aus herein. Andererseits schrak sie zurück vor dem kalten Dunkel, das abends das Haus von allen Seiten beschlich. Sie säumte und faltete eine Borte aus heiter geblümtem Kattun, die sie über die ganze Länge der Fenster aufhängte.
Die Diele war wieder bewohnbar, aber niemand fand es dort besonders gemütlich. Der Durchgangscharakter, der immer schon da war – wegen der freien Treppe und der vielen Türen –, wurde noch dadurch verstärkt, dass die Tür des Vorderzimmers, die früher immer geschlossen bleiben musste, jetzt auf Marys ausdrücklichen Befehl immer offen zu sein hatte.
Ihr Vorhaben, die Diele als Esszimmer zu nutzen, verlief schnell im Sand. Die Bruynzeel-Küche war ja geräumig genug, vor allem seit wir Oma Annetjes Teil noch dazu bekommen hatten.
So stand der runde weiße Tisch verloren im Raum, und die Rattan-Sitzecke am Kamin blieb unbenutzt. Wir bevorzugten die Couchgarnitur im Vorderzimmer.
Aber Mary gab noch nicht auf und entschied sich zu einem Tausch. Die Couchgarnitur wurde mit vereinten Kräften Richtung Diele geschleppt, der runde Tisch auf der Seite zum Vorderzimmer gerollt.
Aber niemand teilte ihre Begeisterung, und alsbald war alles wieder an seinem alten Platz.
Erst als unser erster Fernseher seinen Einzug hielt, bekam die Diele schließlich noch eine Funktion: Wir sahen dort fern. Manchmal machte Lepel den Kamin an, und Mary, die sich dazu in einen der Rattansessel setzte, rauchte demonstrativ eine Mentholzigarette Marke Alaska. Aber so viele Sendungen gab es in jener Zeit noch nicht zu sehen. So haftete der Diele, solange wir dort wohnten, ein Ruch von Überflüssigkeit an.
Und Marys Kampf war noch nicht zu Ende. Jetzt mussten die Malerarbeiten beginnen. Es wurde ein Maler engagiert, die Außenwände zu tünchen. Niemals werde ich Oma Annetjes Entsetzen vergessen, als ihr das zu Ohren kam.
Eines Tages meldete sich an der alten Haustür ein Vertreter, der durch seine rasche Reaktion auf die Umleitungsschilderund Marys Nicken positiv auffiel. Er ging guter Dinge zur Boenia-Seite und verstand es, Mary binnen einer halben Stunde einen Apparat anzudrehen, der mit Hilfe verschiedener Aufsätze unter anderem als Staubsauger, Haartrockner und Farbspritze dienen konnte. Als die Kapazitäten als Staubsauger die Erwartungen übertrafen, aber die Leistung als Fön sehr enttäuschte (Staubteile neigten dazu, einem ins Haar zu geraten), beschloss Mary, den Gebrauch als Farbspritze zu testen. Sie füllte die dafür bestimmte Tülle mit roter Farbe und spritzte – auf einem mit Zeitungen bedeckten Fleck hinterm Haus – zwei Schränke, eine Kommode und Oma Annetjes komplettes Gartenmobiliar rot. Und als sich herausstellte, dass Spritztülle und Aufsätze sich von da an für keine andere Farbe mehr eigneten, wurden auch noch zwei Hocker, ein Stuhl und das aufklappbare Küchentreppchen rot angespritzt.
Für den hellgrünen Anstrich des oberen Flures griff Mary notgedrungen auf Pinsel zurück.
»Ich krieg dich noch klein«, hörten wir sie brummeln.
»Was denn?«, fragten wir.
»Dieses Haus«, knurrte sie.
Was war das genau, wogegen Mary so heftig
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