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Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Titel: Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorinde van Oort
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Amersfoort.
     
    Noch einmal. Zeile für Zeile.
    ›Vater ging zum Einkaufen nach Soestdijk‹. Was für Einkäufe konnten das gewesen sein? Einen Steinwurf von Vosseveld entfernt gab es doch alle möglichen Läden. Was war dasfür ein Laden, wo Großvater es geschafft haben sollte, über eine

Schwelle‹ zu stolpern?
    Ich fuhr nach Soestdijk. Die Van Weedestraat beginnt direkt hinter den Bahngleisen. Nummer 2 ist das erste Haus rechts. Es ist kein Laden. Es ist eine Villa aus dem 19.   Jahrhundert mit Auffahrt und Garten. Es gibt keine ›Schwelle‹, aber dafür eine Veranda mit einem kolossalen Eingang, und damals wohnte dort, so entdeckte ich über das Gemeindearchiv, ein Korsettgroßhändler. Nicht gerade ein nahe liegendes Ziel für einen pensionierten Sänger, an einem frühen Dienstagmorgen.
    Das Soester Archiv besaß noch ein
Namensverzeichnis für den interlokalen Telefondienst, Ausgabe Januar 1941
, in dem Soest gerade mal vier Seiten füllt. Ich suchte nach Adressen in der direkten Umgebung. So stieß ich auf die Van Weedestraat 27.   Dort wohnte damals ein Notar.
    Bislang hatte ich angenommen, dass der Streit zwischen Oma Annetje und Großvater im Juni ausgebrochen sein musste, oder Anfang Juli, kurz vor Großvaters Einweisung in Den Dolder.
    Aber angenommen, es hatte sofort Krach gegeben, schon Anfang April, gleich nach dem Einzug; dann erschien auch der Unfall plötzlich in einem andern Licht.
    Bis Donnerstag, 4.   April, war alles bestens gewesen, das konnte man Marys Briefen entnehmen. Am Freitag, den 5.   April, war Lepel nach Arnheim gereist, um das Wochenende mit ihr zu verbringen. Wenn er von seinem Kutschhaus aus Streit gehört hatte zwischen seinem Vater und Oma Annetje, so wie er erzählte, dann musste der
vor
seiner Reise ausgebrochen sein. Am vierten oder allerspätestens am Morgen des fünften.
    Großvater könnte demnach am Donnerstagnachmittag, oder Freitagmorgen, entdeckt haben, dass die ihm von Oud geschenkten achttausend Gulden mit dem Kauf des Hausesin Oma Annetjes Hände übergegangen waren, und vor Zorn durchgedreht sein.
    In dem Fall hätte er natürlich einen Notar einschalten wollen, vielleicht in der Hoffnung, den Kaufvertrag noch rückgängig machen zu können, aber auf jeden Fall, um sein Testament zugunsten seiner Kinder zu ändern. Jetzt sollte Oma Annetje bei seinem Tod noch den Nießbrauch an seinem gesamten Besitz erhalten – einschließlich der fünftausend Gulden, die die Lebensversicherung ausbezahlen würde. Das wird er ihr, nach seiner Entdeckung, nicht mehr gegönnt haben.
    Er wird den einzigen Notar angerufen haben, über den das Dorf verfügte: Notar Dammers in der Van Weedestraat 27.   Der ihn natürlich vor dem Wochenende nicht mehr empfangen konnte.
    In alten Exemplaren des
Soester Courant
begegnete ich dem Namen Dammers regelmäßig. Am Montag, den 7.   April, hatte er eine Besprechung mit Anteilseignern gehabt, so meldete eine Nachricht. Das Treffen konnte also frühestens für den Dienstag vereinbart worden sein: den 8.   April.
    Was für ein Wochenende wird das gewesen sein, auf Vosseveld! Was für ein Palmsonntag. Oma Annetje, die mit aller Macht versucht haben muss, ihren vor Wut kochenden Ehemann zu beruhigen, mit Flehen, Vorwürfen, Drohungen. Es stand ja viel für sie auf dem Spiel. Ihre Zukunft drohte eine bittere Wiederholung der Situation am Overtoom zu werden, nach Ouds Tod. Sollten die anderen Mansborgs von der Angelegenheit Wind bekommen, dann würde sie wieder einer feindseligen Familie gegenüberstehen; einer, die einen Hass auf sie hätte. Die sie im schlimmsten Fall aus dem Haus vertreiben würde, das sie sich auf so schlaue Weise zu eigen gemacht hatte.
    Ihr Haus. Ihr erstes eigenes Haus.
    Das alte Schreckensbild muss wieder aufgetaucht sein:auf der Straße zu landen. Und diesmal war da kein alter Oud mehr, der auf alles Rat wusste; sogar der Stiefsohn, der ihr so zugeneigt war, befand sich an diesem Wochenende in Arnheim, bei dem Schatz, den sie ihm selber besorgt hatte.
    Am 7.   April kommt Lepel, früher als geplant, aus Arnheim zurück, genau rechtzeitig für den Unfall seines Vaters, wegen ›einer Vorahnung, dass sie mich hier dringend brauchen würden‹.
    Die verzweifelte Ann wird ihn geradezu nach Soest zurückgerufen haben – aber wie? Telefon gab es noch nicht auf Vosseveld. Im Mai, zur Zeit von Großvaters Lungenentzündung, hatte Mary ja geschrieben: ›Es wäre schön, wenn euer Telefon wieder funktionieren

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