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Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Titel: Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorinde van Oort
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willkommen bei meinem Vater Lepel), beschloss ich, auf gut Glück bei Onkel Henk vorbeizuschauen, dem ältesten Sohn aus Großvaters erster Ehe, der auf Oma Annetjes Beerdigung gesprochen hatte. Er war Buchhalter gewesen. Wer weiß, vielleicht konnte er sich noch an irgendwelche der diversen Transaktionen erinnern.
    Onkel Henk war schon alt und zittrig, und sein Gedächtnis war nicht mehr das Beste. Er erinnerte sich nicht mehr an viele Einzelheiten über den Kauf des Hauses.
    »Vosseveld? Auf ihren Namen? Das ist gut möglich. Ann hatte eigenes Geld. Ein Legat, glaube ich, das der alte Oud ihr vermacht hatte.«
    Dieselbe Geschichte. Ein Legat von Oud. Da musste sich doch mehr drüber erfahren lassen.
    »Hast du eigentlich noch Sachen aus der Zeit   – Fotos, Briefe, Papiere?«, fragte ich.
    »Nein, mein Kind, ich habe alles schon vor langer Zeit weggetan.«
    »Weißt du vielleicht noch, wie viel genau sie von dem alten Oud geerbt hatte?«
    Onkel Henks kornblumenblaue Augen sahen mich an, als hätte er meine Frage gar nicht gehört. Währenddessen hatte Tante Flor ein Fotoalbum ausgegraben, in dem Henks Mutter vielfältig vertreten war mit ihren Kindern Johan, Rita und dem kleinen Henk selbst. Mein Großvater Christiaan Mansborg fehlte natürlich auf den meisten Familienschnappschüssen. Auf den frühen, weil er sie selbst aufgenommen hatte; auf den späteren, weil er da schon mit Pij fortgegangen war, die er 1915 geheiratet hatte. Seine erste Frau Dora war damals vierzig, obwohl sie viel älter wirkte, mit leidenden Zügen und großen, traurigen Augen, die ungläubig in die Kamera blicken.
    »Henk war noch keine zwei Jahre alt, als dein Großvater seine Familie wegen Pij verließ«, sagte Flor in leicht vorwurfsvollem Ton. Sie schien sich inzwischen in der Vergangenheit der Familie Mansborg besser auszukennen als Onkel Henk selbst.
    Großvaters erste Ehe interessierte mich allerdings nicht sonderlich, und ich versuchte das Gespräch wieder zurück auf Oma Annetje zu lenken. Mit einiger Mühe gelang das.
    »Kanntest du denn Oma Annetje schon, bevor sie Großvater heiratete?«, fragte ich Onkel Henk.
    »Sicher. Ich bin ihr öfter begegnet, wenn ich bei Vater am Overtoom war. Sie kam da öfter vorbei. Sie war eine Herzensfreundin von Pij. Sie war sehr schön, erinnere ich mich, und schick gekleidet. Aber sie hatte auch etwas Verschwommenes, Schwärmerisches, ich weiß nicht, wie ich das bezeichnen soll. Sie war für ihre übersinnlichen Fähigkeiten bekannt.Auf Vosseveld habe ich einmal einer Séance beigewohnt«, begann er und gab noch einmal dieselbe Geschichte von sich, die er in seiner Beerdigungsrede erzählt hatte – inklusive des Gags mit dem Hund.
    Doch fügte Onkel Henk diesmal noch etwas Neues hinzu: »Einmal ist Ann auch zu meiner Mutter durchgekommen, die damals erst vor kurzem gestorben war. ›Ist da jemand?‹, hat sie gefragt. ›Wer ist da?‹ Und da hab ich mit eigenen Augen gesehen, wie das Kreuz auf die Initialen meiner Mutter gezeigt hat. Dann bin ich weggegangen, ich wollte nichts damit zu tun haben.«
    »Henk war damals furchtbar erschrocken«, bestätigte Tante Flor. »Stimmt’s, Henk?«
    Als ich die Möglichkeit eines Verhältnisses zwischen Großvater und Oma Annetje ansprach, noch vor seiner Scheidung von Pij, wirkte Henk wie vom Schlag getroffen. »Warum willst du bloß so was wissen? Doch nicht etwa für die Sachen in
Neerlands Diep

    Untypisch für Onkel Henk, so argwöhnisch zu sein. Lepel musste auch ihn vor meiner Neugier gewarnt haben.
    Ich drängte nicht weiter. Wenn irgendwas gewesen war zwischen Großvater und Oma Annetje, dann war es Onkel Henks kornblumenblauen Augen entgangen.
    »Hast du vielleicht noch Briefe von Oma Annetje?«, fragte ich wider besseres Wissen.
    »Nein, mein Kind, ich sagte doch schon, ich hab alles schon vor langer Zeit weggetan.«
    »Wie schade.«
    »Aber Henk. Du hast doch diesen Ordner gehabt«, sagte Flor. »Du hast für Ann doch immer die Buchhaltung gemacht. Die Unterlagen hast du aufgehoben, mit noch ein paar Briefen, die du nicht wegwerfen wolltest. Du hast mir da sogar noch draus vorgelesen, auch aus den Briefen von deiner Mutter.«
    »Ach ja?«
    Flor zwinkerte mir zu. Sie fand das Ganze inzwischen selbst schon recht spannend. Sie flüsterte, dass sie mal eben nachsehen wolle.
    Beim Abschied kam sie mit einem dicken Ordner an. »Hier müssen die dabei sein. Ich such sie gerne für dich raus, und wenn du dann das nächste Mal herkommst  

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