Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)
Sogar gegen die eigene Tochter? Das erschien unwahrscheinlich.
Außerdem blieb dann die Frage, wie Oma Annetje selber an die zehntausend Gulden gekommen war, um Vosseveld zu kaufen.
Ich suchte unter der Überschrift ›Ann/Vosseveld‹, ob ich über den Kauf noch etwas mehr aufspüren könnte, und fand hinten eine Notiz in Oma Annetjes Handschrift:
Henk, die betreffende Mappe hab ich nicht mehr, darin wirst Du alle Angaben finden. Im Nachhinein meine ich mich zu erinnern, dass ich sie einmal Dir oder Johan gab. Bei Rita ist sie auch nicht zu finden. Ich meine, dass es eine marmorierte graue alte Mappe ist … Einen weiteren Beweis besitze ich nicht …
Und noch weiter hinten fand ich eine Notiz von Onkel Henk:
Die Kaufsumme für Vosseveld betrug
f
10 000, für die Ann nach eigenem Bekunden ihre Anteile von der Niederländischen Eisenbahn verkauft hat (keine Belege mehr vorhanden).
Da waren sie also doch – die zehntausend Gulden. Aber jetzt waren es auf einmal wieder Anteile von der Niederländischen Eisenbahn gewesen. Dann musste der alte Oud sie ihr gegeben haben, zum Nikolaus von 1938, in seinen ›Versuchen, um für die liebe Ann zu sorgen‹.
Allmählich wurde mir schwindlig. Wo war Oma Annetjes Geld hergekommen und wo war es geblieben? Sie hatte doch immer alles aufgehoben. Aber hier war die Rede von nicht aufspürbaren Belegen. Von einer Mappe, die verloren gegangen war.
Irgendwas stimmte hier nicht. Eine ganze Menge stimmte nicht. Lepels wiederholte Behauptung, dass sein Vater ›keinen Cent‹ gehabt habe, zum Beispiel. Onkel Henk hatte eine Übersicht gemacht von dem Jahreseinkommen, über das Christiaan Mansborg seit seiner Pensionierung 1939 verfügte: die vierteljährlichen Auszahlungen von drei Leibrenten plus eine kleine Rente vom Konservatorium; zusammengenommen belief sich das auf zweieinhalbtausend Gulden im Jahr. Für die damalige Zeit war das ein fürstliches Einkommen. Und bei seinem Tod sollten noch einmal fünftausend Gulden ausbezahlt werden!
Und dann noch die achttausend Gulden von Oud.
Großvater war also nicht arm gewesen, er war reich. Er hatte unbekümmert ein Haus in Zandvoort mieten und einrichten können und Annetje dort willkommen heißen als seine neue, dritte Frau.
Mein Vater hatte diesbezüglich also gelogen. Ich wollte ihn um Aufklärung bitten und griff schon zum Telefon. Dann zögerte ich. Lepel war in letzter Zeit so verschlossen und mürrisch gewesen. Und dann noch das Geklüngel mit seiner Schwester und seinem Halbbruder Henk. Es war besser zu warten, bis ich ihn wieder einmal persönlich sprechen konnte, und die Frage dann nebenbei zur Sprache zu bringen.
Ich schreckte auf, als das Telefon unter meiner Hand plötzlich klingelte.
Lepel, dachte ich. Telepathie.
Aber es war nicht Lepel. Es war Diny, die Tochter von H. C. Ouds jüngstem Sohn Gerrit. Sie hatte mir, auch schon wieder vor Wochen, versprochen, nach Briefen von OmaAnnetje an ihren Vater zu suchen. Die hatte sie inzwischen tatsächlich gefunden. Auf ihrem Dachboden, aufgerollt in einer Papprolle.
»Sie hat sich damals auch noch ein Versicherungsportefeuille unter den Nagel reißen wollen!«, sagte Diny entrüstet. »Nach all dem, was sie schon aus dem Haus am Overtoom weggeschleppt hatte … sogar die Bücher sind haufenweise nach Zandvoort gegangen. Jetzt erinnere ich mich wieder, wie mein Vater noch Jahre später darüber geschimpft hat.« Ich eilte zu Diny, um mir die Briefe anzusehen. Die Blätter steckten fest ineinandergerollt. Ich entfaltete sie vorsichtig, eins nach dem andern. Der erste Brief stammte von Mitte November 1939, drei Wochen vor Annetjes Heirat mit Großvater, geschrieben in Zandvoort.
Lieber Gerrit, hier muss noch hart gearbeitet werden, denn alles stand noch Kopf, deswegen habe ich auch so auf Eile gedrängt. Ich gehe nächste Woche noch mal kurz zum Overtoom, ich hab noch einen Schlüssel, und ich hab eigentlich noch nicht richtig Abschied von dem Haus genommen. Ihr habt gewiss schon meine zugeschickten Episteln empfangen, ich erhielt auch wieder einen Brief von der Eersten Nederlandschen. Sie hören einfach nicht auf zu nörgeln, obwohl sie selber zugeben, dass die Fa. Oldenborgh alles sehr gut gemacht hat.
Es wird letztendlich übrigens alles doch anders laufen, als ich gedacht habe, denn Mansborg und die Fam. Braakensiek wollen unbedingt, dass wir heiraten. Es klingt schon verrückt, aber ich sehe das alles sehr sachlich, und ich glaube
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