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Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Titel: Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorinde van Oort
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Schachtel Pralinen für ›Ankies Geburtstag‹, einer neuen Zahnbürste.
    Ich fand aber auch einen Brief vom alten Oud an Henk, vom 5.   April 1939.
     
    Herrn Mansborg jr., Buchhalter.
    Danke für Ihr freundliches Schreiben – ich bin sehr froh, dass ich die Verrechnungen derart habe auflösen können, dass ich Sie zufriedenstellen kann – mit der vollen Abschlussprovision. Die bezahle ich zusammen mit der Abrechnung für Ihren Papa an Sie aus.
    Meine Hochachtung für Ihre Familie veranlasste mich dazu, dieseTransaktion vorzunehmen. Mein Brief ist kurz – mein Unwohlsein ist dafür der Grund. Es will einfach noch nicht in die gewünschte Richtung gehen.
    Mit herzlichem Gruß, hochachtungsvoll
    H.   C.   Oud
     
    Eine Verrechnung – eine Abschlussprovision. Da sollte man doch beinahe an eine Versicherung denken. Vielleicht hatte das Versicherungsunternehmen, von dem Tante Tini sprach, irgendetwas damit zu tun? Um welchen Betrag wird es gegangen sein? Auch der schien in Onkel Henks Kassenbuch zu stehen.
    Am 30.   April war ein Betrag von
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8300 bei Henk eingegangen. Am nächsten Tag waren davon
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8000 ›auf Vaters Konto‹ überwiesen worden. Die restlichen
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300 verblieben als ›Provision‹ auf Onkel Henks eigenem Konto. Achttausend Gulden. Das muss 1939 ein Vermögen gewesen sein. Da ging es um Hunderttausende in heutigem Geld.
    ›Diese Transaktion‹, schrieb Oud. ›Meine Hochachtung für Ihre Familie‹.
    Und das alles ein halbes Jahr vor seinem Tod. Dann war die ›Verrechnung‹ vielleicht eine listige Art gewesen, um Geld zu seiner ›liebsten Ann‹ zu schleusen und so die Söhne zu umgehen. Die Abschlussprovision konnte eine Verschleierungsmaßnahme für die Söhne gewesen sein – für den Fall, dass sie sich nach dem Tod ihres Vaters mit seinen Finanzen näher beschäftigen sollten.
    War das dann vielleicht die Erbschaft gewesen, die die Oberin für Oma Annetje losgeeist hatte, und waren die Beträge ein und dieselbe Schenkung gewesen? Zwar keine zehntausend Gulden, aber weit davon entfernt auch nicht.
    Aber die Oberin hatte die zehntausend Gulden dem alten Oud doch erst auf seinem Sterbebett abgeschwatzt! Darin waren Lepel und Tante Tini sich einig gewesen.
    Im Herbst 1938 hatte Oud seinen ersten Anfall gehabt und gedacht, dass er Nikolaus nicht mehr erleben würde. Im Frühjahr 1939, als er den Brief an Henk schrieb, ging es ihm gerade wieder mal besser. Die Fotos vom Sommer beweisen, dass er noch mit seiner Ann bei Vera zu Besuch gewesen war und dort wie ein Pascha in einem Liegestuhl im Garten gelegen hatte.
    ›Meine Hochachtung für Ihre Familie veranlasste mich dazu, diese Transaktion vorzunehmen.‹
    Das
konnte
sich nicht auf eine Versicherung beziehen, beschloss ich. Die achttausend Gulden mussten eine Schenkung gewesen sein, und zwar an Christiaan Mansborg, nicht an Oma Annetje.
    Ich hatte eine Eingebung. Wenn nun der alte Oud das Glück, das er Oma Annetje so nachdrücklich gönnte, ihr hatte erkaufen wollen? Wenn er nun, als er sein Ende nahen fühlte, seinen Nachbarn dazu überredet hatte, sich von Pij scheiden zu lassen, rechtzeitig, lange vor seinem Tod, um sicherzugehen, dass Annetje versorgt war?
    Dann hatte Oud meinen Großvater mit anderen Worten
gekauft
. Dann war die Scheidung ein abgekartetes Spiel.
    Pijs Brief an Oma Annetje fiel mir wieder ein: ›Ein Missverständnis will ich freilich aus der Welt schaffen. Glaub mir, ich wäre nicht freiwillig weggegangen.‹
    Wieder ging es um die Chronologie, dachte ich. Angenommen, dass Großvater die achttausend Gulden tatsächlich Ende April von Oud erhalten hatte im Austausch für das Versprechen, sich von Pij scheiden zu lassen und Annetje zu heiraten. Ein
Gentleman’s Agreement
. Dann hatte Großvater, von April bis, sagen wir, August 1939, Zeit gehabt, um sich von Pij loszueisen. Hatte er gezögert und vielleicht sogar einen Rückzieher machen wollen?
    Die Geschichte über die Oberin stimmte dann also doch nicht. Oder – sie war verdreht. War es denkbar, dass die Oberin,anstelle des alten Oud, Großvater die Leviten gelesen hatte, als es aussah, als wolle er einen Rückzieher machen? Dass sie ihn an sein Heiratsversprechen erinnerte, das er Annetje gegeben hatte? Die Oberin hatte ihn sich ja schon einmal vorgeknöpft, als sie ihn 1915 unter Vortäuschung falscher Tatsachen überredet hatte, sich von seiner ersten Frau Dora scheiden zu lassen. Hatte sie sich jetzt mit dem gleichen Elan für die charmante Annetje eingesetzt?

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