Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)
auch, dass sie recht haben. Es ist schon besser, vor allem in so einem kleinen Ort, da wird man sonst natürlich scheel angesehen … Dann soll es also mal ruhig geschehen. Die Vorstellung, wieder allerlei andere Dinge zu beginnen, zieht mich jetzt auch nicht so schrecklich an …
Das hörte sich nicht wildverliebt an. Das hörte sich nach einer Vernunftehe an. Es sei denn, dass Annetje es nur gegenüber der Famile Oud so darstellen wollte, weil sie sich genierte, so schnell gleich eine neue Liebe aufgetan zu haben. Die ›anderen Dinge‹, die sie nicht hatte wieder beginnen wollen, bezogen sich wahrscheinlich auf eine alternative Zukunft als ansehnlich bejahrte Wochenpflegerin. Ein ganzes Stück weniger anziehend, in der Tat, als sich Frau Mansborg nennen zu dürfen, die gesetzliche Gattin eines berühmten Mannes.
Am 8. Januar 1940, einen Monat nach ihrer Heirat mit Christiaan Mansborg, schreibt Annetje an Gerrit:
Ich musste mit meiner Antwort ein wenig warten, weil ich wegen Logierbesuch und so nicht direkt nach Amsterdam konnte, und auch dort musste ich mich selber erst von jemand anderem ins Bild setzen lassen, weil ich nicht kapierte, was da eigentlich los war. Ich hatte näml. von der Firma Oldenborgh jemanden hier, der wissen wollte, was die Firma denn falsch gemacht hat, dass das Portefeuille einfach so, ohne sie zu informieren, von der Eersten Ned. auf die Twent’sche Bank übertragen wurde. Ich fand das sehr bedauerlich, weil ich weiß, was die Firma alles für uns getan hat. Auch wenn ich sie am Tag 2 0-mal anrief, waren sie stets höflich und bereitwillig. Wie hoffnungslos wäre alles schiefgelaufen, wenn wir die nicht gehabt hätten!
Ich ging also zur Firma Oldenborgh, um zu erzählen, dass die E. Ned. als Bedingung gestellt hat, dass ich in Amsterdam bleiben müsse – dass ich das wegen meiner Heirat aber nicht könne. Danach war das Erstaunen groß. Die Herren fanden, dass ich schon sehr leichtfertig mit dieser Hinterlassenschaft umspringe. Es ist ein festes Einkommen, und mit einem kleinen Aufwand ist es leicht aufrechtzuerhalten. Ich ging dann noch zu Notar Zwart, und auch der gab mir den Rat, da sehr gründlich drüber nachzudenken. Es sei doch der Wunsch des alten Herrn Oud gewesen,mir etwas zu hinterlassen, wovon ich ein festes Einkommen hätte.
Aus diesem Grund würde ich gern von Dir wissen, wie Du ehrlich darüber denkst. Wenn ich das Gefühl hätte, dass ich es selber nie brauchen werde, dann kennt ihr meinen Charakter gut genug, um zu wissen, dass ich solchen Streit eigentlich schrecklich verabscheue. Aber unser Einkommen ist nicht derart, dass ich mir eine so großzügige Geste erlauben kann –
Eine merkwürdige Bedingung, mit der das Versicherungsunternehmen, die
Eerste Nederlandsche Verzeekerings Maatschappij,
jetzt auf einmal ankam. Man könnte beinahe meinen, dass Gerrit dahintersteckte. Der, so erzählte Diny, seinen Vater als Direktor der Twent’sche Bank beerbt hatte …
Annetjes dritter Brief an Gerrit, vom 22. Januar 1940, war denn auch eine Antwort auf eine wahrscheinlich verstimmte Reaktion seinerseits.
Lieber Gerrit, ich habe keine Lust, alles noch einmal zu erklären. Ich habe nie gesagt, dass ich das Portefeuille nicht länger behalten könne, denn es lief alles bestens. Die Firma van Oldenborgh sorgte dafür und schrieb meinem Konto 2 / 3 der Provision gut. Ich schrieb lediglich, dass Du tun musst, was Du selbst für das Beste hältst. Ich bin sportlich genug, um es zu schätzen, dass Du für Dich selbst sorgst. Aber ich habe doch ein leicht unbehagliches Gefühl, dass ich hier ausgebootet worden bin, denn ich habe geglaubt, Du würdest wie ein eigener Bruder mit diesen Dingen verfahren. Wir sind doch all die Jahre auf diese Weise miteinander umgegangen, all die Liebe und das Leid sind doch nicht auf einmal vergessen. – Basta, ich habe davon genug. Von Herzen gönne ich euch das Allerbeste –
Ich lauschte mit halbem Ohr nach Dinys Kommentar: »… das Portefeuille stand meinem Vater zu … der war damals geradeDirektor der Twent’sche Bank geworden … Ann war so raffgierig – Ann war berechnend – Ann …«
Ich würde diesen Brief anders deuten: Der alte Oud hatte seiner Ann tatsächlich etwas vererbt. Er hatte ihr sogar ein festes Einkommen hinterlassen wollen, um das sie sich freilich, durch Unwissenheit, Unkenntnis, Ungeschicktheit und Gerrits Schläue, prellen ließ.
Es blieb immer noch die
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