Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)
Frage offen, von welchem Geld sie dann eigentlich Vosseveld gekauft hatte. Vielleicht hatte sie doch noch zusätzlich durch Vermittlung der Oberin in letzter Minute die zehntausend Gulden bekommen, in Form von Anteilen der Niederländischen Eisenbahn. Dann wäre es ihr trotz allem noch sehr gut gegangen. Aber auch das musste ich überprüfen.
Sowie ich von meinem Besuch bei Diny wieder zu Hause war, rief ich beim Notariatsarchiv an und erkundigte mich nach den Testamenten von Oma Annetje und Großvater. Wie sich herausstellte, war das nicht so einfach. Ich musste einen schriftlichen Antrag stellen und wochenlang warten. Endlich, nachdem ich noch mehrfach angerufen hatte, bekam ich die Dokumente geschickt, zusammen mit einer Kopie des Ehevertrags.
Ich studierte zuerst die handgeschriebenen Testamente. Großvater hatte seine Ehefrau als Alleinerbin eingesetzt, ihr lebenslangen Nießbrauch an seinem gesamten Besitz zuerkannt und sie zur Testamentsvollstreckerin und Ausrichterin seiner Beerdigung ernannt.
Annetje Beets hatte ihrem Ehemann Christiaan Mansborg, sollte sie vor ihm sterben (Aber wie groß war die Wahrscheinlichkeit? Er war sechsundsechzig, sie zweiundfünfzig!), ebenfalls den Nießbrauch an ihrem Eigentum zuerkannt. Sollte er inzwischen verstorben sein, dann hatte sie, neben ihrer Schwester Vera und ihren Söhnen, ihren Stiefsohn zum Erben benannt – Lepel, meinen Vater.
Lepel und seine neue Stiefmutter hatten also gleich ein enges Band miteinander gehabt. Das brachte mich auf einen neuen Gedanken. Lepel hatte allen Grund, auf Vosseveld zu spekulieren. Er – nicht Großvaters andere Kinder – sollte das Haus einmal erben; nicht von seinem Vater, sondern von seiner Stiefmutter. Das Hickhack nach Großvaters Tod musste damit zu tun gehabt haben.
Der Ehevertrag, ein getipptes Dokument von fünf Seiten Länge, schien einer näheren Betrachtung wert.
Nur Oma Annetjes Eigentum wurde darin beschrieben; ›was nicht beschrieben ist‹, wurde betrachtet als das, ›was dem Ehegatten oder seinen Erben zufallen soll‹.
Ich musste schmunzeln, als ich die Liste von Hausrat und Möbeln sah. Diny hatte schon ein bisschen recht mit ihren Vorwürfen an Oma Annetjes Adresse. Das komplette Vosseveld-Inventar schien aus dem Haus am Overtoom zu stammen, einschließlich des Sonnenschirms und der Gartenmöbel.
… nebst Kleidungsstücken, Schmuckstücken und dem Körper dienendem Zubehör die folgenden beweglichen Gegenstände: im Wohnzimmer: Billardtisch mit Tischtuch, Sekretär mit Stuhl, Bücherschrank samt Inhalt, sechs Stühle, kleiner Tisch, Bilder, Kamin mit Kamingerät, Schirmlampen, Teemobiliar mit Inhalt, Wohnzimmerschrank mit Inhalt (Glaswaren, Ess- und Teeservice, Messer, Gabeln, Löffel u. dgl.); im Musikzimmer: zwei Lehnstühle mit Kissen, Bilder, Schirmlampen, Schrank mit Inhalt, kleine Tische, Ofenbank; im Wintergarten: Bücherschrank mit Büchern, Wintergartenmöbel; außerdem Garderobe mit Wandbehang und blaue Vasen, Deckenkiste, das gesamte Schlafzimmermobiliar mit feststehendem Waschbecken, drei alte Stühle, Nähmaschine mit Nähtisch, Gartenmöbel, Sonnenschirm, Liegestuhl; Fahrrad, Wäscheschrank mit Haushaltswäsche, einige Koffer und Handtaschen; das gesamte Kücheninventar,Bodenbedeckung und Gardinen für das gesamte Haus, Treppen- und Flurläufer mit Stangen.
Unten auf der Seite folgte eine Auflistung von Oma Annetjes Aktien und Wertpapieren. Die setzte sich auf Seite vier fort, aber das war eine einzige Schmiererei. Der gesamte linke Rand war voller Korrekturen. Dass sie das im Notarsbüro nicht kurz mal ordentlich hatten neu tippen können, dachte ich noch. Ein Schuldanerkenntnis gegenüber Bruder Han von achthundert Gulden war durchgestrichen; drei Obligationen zu fünfzig Gulden auch. An den Rand waren zahlreiche Änderungen gekritzelt, jede mit Großvaters und Oma Annetjes Paraphe versehen.
Es waren keine Aktien der Niederländischen Eisenbahn aufgeführt. Ich berechnete über den Daumen gepeilt den Gesamtwert der Obligationen: noch keine dreitausend Gulden. Davon konnte Oma Annetje Vosseveld nicht bezahlt haben.
Ich versuchte, aus dem Wirrwarr schlau zu werden. Einer ›Einlage bei der Reichspostsparkasse in Höhe von siebenhundert Gulden‹ folgte ein Hinweiszeichen. Das wurde über einem unlesbaren Gekritzel am Rand wiederholt. Ich musste mir alle Mühe geben, es zu entziffern.
›Die Rechte auf das ihr durch verst. Herrn H. C. Oud übertragene Legat von f 8000,-.‹
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