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Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Titel: Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorinde van Oort
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Auch diese Textstelle war mit beider Paraphen versehen.
    Eine Weile starrte ich verwundert auf das Papier. Achttausend Gulden. Genau der Betrag, den Christaan Mansborg von Oud erhalten hatte. Dann stimmte es also – dann war die Schenkung also doch für Ann bestimmt, lautete meine erste Schlussfolgerung. Ich beugte mich noch einmal über das Gekrakel.
    Wenn die achttausend wirklich für Oma Annetje bestimmt gewesen waren und Großvater mit dem Arrangement einverstanden gewesen war – dann sollte man einen derart ansehnlichenBetrag doch im getippten Text erwarten. Nicht handschriftlich in den Rand gekritzelt, als ginge es um irgendeinen nebensächlichen Zusatz, kaum lesbar für das bloße Auge   …
    Ich erstarrte.
Kaum lesbar.
    Wenn
ich
schon Mühe hatte, den Text zu entziffern – Großvater war sechsundsechzig gewesen, als er dieses Dokument unterzeichnete, und stark kurzsichtig, dem Funkeln in seiner Brille zum Trotz. Er dürfte die Hinzufügung, ebenso wie die anderen – unbedeutenden – Korrekturen, ungelesen paraphiert haben.
    Und wer war der Notar, der sich hierzu hergegeben hatte?
    Genau. Ouds alter Freund Zwart aus Amsterdam. Der über Ouds Pläne mit seiner Ann bereits auf dem Laufenden gewesen war. Der, nachdem Ouds geplante Vorkehrungen für sie in Rauch aufgegangen waren, das Seine getan hatte, um zu retten, was noch zu retten war.
    Vosseveld wurde nicht von den Zehntausend gekauft, die die Oberin dem alten Oud angeblich abgeschwatzt hatte. Es wurde auch nicht von unauffindbaren Eisenbahnanteilen gekauft. Derlei Geschichten musste Oma Annetje später gestreut haben, als sich, nach Großvaters Tod, Fragen über die Eigentümerschaft des Hauses erhoben.
    Vosseveld wurde von Großvaters achttausend Gulden gekauft.
    Ich nahm den Kaufvertrag für Vosseveld dazu, den ich vor Monaten aus dem Papierkorb meines Vaters gerettet hatte.
    Das Haus hatte zehntausend Gulden gekostet. Die achttausend von Großvater mussten also mit Mitteln von Oma Annetje ergänzt worden sein; wer weiß, vielleicht hatte Großvater auch eigenes Gespartes draufgelegt.
    Aber das Haus war einzig und allein auf ihren Namen eingetragen.
    Die Kaufakte gab bei näherem Studium übrigens auch zu denken. Großvaters Name war oben neben dem von OmaAnnetje genannt. Auch unterschrieben hatte er neben Annetje. Dass er kein gleichberechtigter Käufer des Hauses war, ging nur aus der Bemerkung hervor, er sei ›zum Beistand seiner Ehefrau‹ beim Notar erschienen. Wenn Notar Zwart, beim Vorlesen der Urkunde, diese Einschränkung weggelassen hatte, dann hatte mein Großvater vermutlich gar nicht gemerkt, dass er mit dem Kaufvertrag nicht Miteigentümer des Hauses geworden war!
    Großvater hatte sicher gefunden, dass der Kauf ein guter Bestimmungszweck für das von Oud empfangene Geld war. Aber dann konnte es ein böses Erwachen gegeben haben an dem Tag, an dem er entdeckte, dass Oma Annetje ihn reingelegt hatte   …
     
    Die Zandvoort-Periode ist in die Familiengeschichte als eine doppelte Idylle eingegangen. Schon bald sprang das Glück vom frischvermählten älteren auf das junge Paar über: Lepel und Mary, meine Eltern. Dafür hatte Annetje gesorgt. Als sie zum Nikolausfest von 1939 mit ihrer neuen kleinen Familie bei ihrer Schwester Jopie auftauchte, hatte sie ihre Nichte, aber auch ihren Stiefsohn, so sorgfältig auf ihre erste Begegnung vorbereitet, dass sie alle beide schrecklich nervös waren. Lepel hatte sich – aus welchen Gründen auch immer – für die Gelegenheit so ungepflegt und unanziehend wie möglich gekleidet: einen Zweitagebart, krummer Rücken, Jacke linksherum angezogen. Was er dann bitter bereute, als er die Enttäuschung auf Marys süßem Gesicht sah.
    Aber letztendlich lief alles gut: Annetjes Plan hätte gar nicht besser klappen können. Als Lepel etwas später, rot vor Verlegenheit, dann doch seine wahre Gestalt zeigte, hatte Mary sich sofort Hals über Kopf in ihn verliebt.
    Ob es zwischen Oma Annetje und Großvater eigentlich auch so romantisch zugegangen war – das war die Frage, die sich mir jetzt immer dringender stellte.
    Ich suchte in Oma Annetjes Fotoalbum die Bilder aus Zandvoort vom Sommer, Herbst und Winter 1939.   Die Bilder von dem jungen verliebten Paar waren allseits bekannt. Dem älteren Paar hatte ich nie besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt. Jetzt betrachtete ich sie mit dem Wissen, das ich inzwischen über meine Protagonisten gesammelt hatte.
    Es waren die Tage, Wochen, Monate nach Ouds Tod.

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