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Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Titel: Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorinde van Oort
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abholen.
    Meine Eltern sorgten wohlweislich dafür, dass sie bei dieser Aktion nicht anwesend waren. Auch ich hatte mich feige gedrückt. Nur Lieske war geblieben. Sie hat gesehen, wie OmaAnnetje, von ihrem demontierten Bett aus, zu den Bäumen sah, Tränen in den Augen. Wie sie, während Oma Jopie und Opa Ger aus Arnheim ihr mit ihren Sachen halfen und ihre Koffer zum Auto trugen, humpelnd ihre letzte Runde durch das Haus gemacht hat. Wie sie, während das Auto schon vor der Tür stand und Opa Ger den letzten Koffer über den Kies forttrug, einen wilden Blick zurückgeworfen hat, in die Diele hinein, bevor die schwere Windfangtür quietschend hinter ihr zufiel.
    Als das Auto wegfuhr, hielt sie sich die Hand vors Gesicht. Sie hat meiner Schwester nicht gewunken.

Christiaan Mansborg
     
    Ich blieb mit der Lücke der Jahre ab 1941 sitzen. Was nach dem Einzug in Vosseveld wirklich passiert war und woher all die geheimnisvollen Unfälle und Krankheiten kamen, blieb weiter im Dunkeln. Auch waren die Vorgänge um den Kauf des Hauses noch keineswegs gänzlich geklärt.
    Ich sah mir im Fotoalbum meiner Mutter die ersten Bilder an, die mein Vater Anfang 1941 gemacht hatte. Das Haus ist ganz in seinem ursprünglichen Zustand. Der Erker trägt noch seine Riedbedeckung, die Schornsteine mit den Pagodenhauben stehen noch auf dem Dach. Die Fenster sind schwarz, ohne Gardinen, wie Augenhöhlen. Der Efeu streckt erst ein paar tastende Tentakel auf der Fassade aus. Der fürstliche Eingang mit der schweren, zweiteiligen Eichentür, dem kupfernen Klopfer und der schmiedeeisernen Zugklingel wartet noch auf den Eintritt der neuen Bewohner.
    Unendlich schade, dass mein Vater nicht mehr Fotos gemacht hat. Keine Reportage über die Ankunft der Umzugswagen. Wie hatten sie das alles regeln können, mitten im Krieg? Nichts über die Ankunft von Oma Annetje und Großvater, am 25.   März 1941, als sie mit der zweiten Fuhre aus Zandvoort mitkamen; kein Bild vom Ausladen des Flügels, der Bücherschränke und Lehnstühle, der Schirmlampen und Teppiche, des Doppelbetts von Großvater, das in seine Einzelteile zerlegt zum großen Schlafzimmer hinaufgeschlepptwerden musste. Dazu die Sachen von Oma Annetje – der ganze Ballast zweier nicht mehr junger Leben.
    Nicht einmal vom ersten Osterfest auf Vosseveld, als Mary das Haus zum ersten Mal besucht hatte, scheint es ein Foto zu geben.
    Erst zu Pfingsten wird das Versäumte nachgeholt. Da ist es schon Anfang Juni, und Mary geht in einem gestreiften Sommerkleid über den Rasen. Sie posiert – ohne Brille, mit großen kurzsichtigen Augen – vor dem üppig blühenden Pfirsichbaum, blickt lächelnd hoch zu Lepel, dieser in einem lockeren Sakko und einer Reithose, ein Grinsen auf seinem Gesicht. Die Arnheimer Familie liegt ausgebreitet auf dem Gartenmobiliar, die Türen des Kutschhauses stehen sperrangelweit offen, so dass man in Lepels Heiligtum hineinblicken kann.
    Oma Annetje ist nur auf einem Bild zu sehen, von hinten, erkennbar an ihren hochgesteckten weißen Haaren. Sie pult gerade Erbsen oder schält Kartoffeln.
    Ihr Ehemann, Christiaan Mansborg, der seit kurzem pensionierte Sänger, unser späterer Großvater, fehlt auf sämtlichen Bildern. Der wird damals oben im Bett gelegen haben oder vielleicht auf dem Diwan im Vorderzimmer, obwohl er Marys Berichten zufolge damals gerade wieder von der Krankheit genesen war, der er beinahe erlegen wäre.
    Es muss eine vorübergehende Schwäche gewesen sein. Am Tag nach Pfingsten – am 4.   Juni 1941, als Mary und ihre Eltern gerade wieder nach Arnheim zurückgekehrt waren – macht Lepel endlich das erste Bild von Oma Annetje und Großvater zusammen.
    Großvater sitzt in einem altmodischen Rollstuhl mit riesigen Rädern, in einer gestreiften Hausjacke, über seinen Knien die Karodecke. Seine Krücke weist nach vorne, wie eine Waffe im Anschlag. Er trägt eine Sonnenbrille, was ihm etwas Schneidiges verleiht, trotz seiner achtundsechzig Jahre.Er lächelt, triumphierend, sogar übermütig, sein mächtiges Haupt erhoben. Das weiße Haar leuchtet in der Sonne.
    Hinter ihm, die Hände am Steuerbügel, steht Oma Annetje – ältlich, besiegt, ihre Erscheinung hoffnungslos antiquiert, den Mund verzogen, als ob sie lächeln will, aber nicht kann. Sie wird es auch schwer genug gehabt haben in den vorangegangenen Wochen: zuerst die Pflege ihres Ehemanns, dann noch die Gäste zu Pfingsten, in Kriegszeiten.
    Erst einen Monat später – am 9.   Juli – wurde

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