Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)
wieder ein Foto gemacht. Sie gehen zusammen durch den Garten, Großvater mit einem Gehstock, lächelnd. Die Zähne blitzen weiß in der Sonne. Oma Annetje guckt zur Seite, die Augen zugekniffen gegen das Licht.
Das restliche Jahr steht das Fotoalbum im Zeichen von Marys und Lepels Romanze: sommerliche Ruderpartien auf den Loosdrechtse Seen, Radtouren in den Wäldern bei Soest und zu Weihnachten ihre Verlobung. Mary in einem hübschen Gazekleid, mit Augen, die kurzsichtig in die Linse gucken. Lepel, diesmal in einem feinen Anzug, hat den Arm um sie gelegt, ein zufriedenes Grinsen auf dem Gesicht.
Großvater war damals in der psychiatrischen Anstalt Den Dolder oder Zeist eingesperrt, das wurde mir jetzt erst klar. Wenn sein Sohn deswegen traumatisiert gewesen sein soll, dann war ihm das jedenfalls nicht anzusehen.
Ich nahm wieder Onkel Henks Ordner hinzu und suchte noch einmal den Brief, den mein Vater seinem Bruder darüber geschrieben hatte, am 17. Juli 1941.
Vosseveld, 17. Juli 1941
Lieber Henk,
ich wurde Dienstagmorgen vom Arzt telefonisch aus Arnheim hierhergerufen, da Vater sehr unruhig war. Ich hatte Dir ja schon früher davon erzählt. Die Symptome werden immer besorgniserregender, und als ich herkam, wollte er nichts mehr essen odertrinken. Dachte, dass überall Gift drin sei. Er war böse auf Ann und mich. Warum? Seine Augen blickten völlig abwesend und waren grau. Ich sah sogleich, dass sein Denkvermögen nicht in Ordnung war. Am selben Tag wurde alles geregelt für eine Einlieferung ins ›Willem Arntsz-Hoeve‹ in Den Dolder, und abends wurde er abgeholt. Viel kann ich noch nicht darüber berichten. Wir sind alle beide noch sehr mitgenommen. Es war ein schrecklicher Tag. Vorläufig besucht ihn niemand, er muss erst vollkommen zur Ruhe kommen. Auf das Urteil der Ärzte müssen wir noch warten bis nach den ersten Observationen, aber es ist schon sicher, dass dieser Zustand zu einem großen Teil auf die vorangegangene Krankheit zurückzuführen ist.
Bei den Worten ›böse auf Ann und mich‹ blieb ich hängen. Großvater war böse gewesen. ›Am selben Tag alles geregelt …‹
Ich fühlte, wie mir ein eiskalter Schauer über den Rücken lief. Fieberhaft blätterte ich zurück in Onkel Henks Ordner. Wann genau hatten die Probleme mit Großvaters Denkvermögen begonnen? War das vielleicht an dem Tag gewesen, als ihm klar wurde, wie übel Annetje ihm mit dem Haus mitgespielt hatte?
Zurückblätternd im Ordner fand ich einen Brief von Großvater aus Zandvoort, geschrieben kurz vor dem Umzug nach Vosseveld.
Zandvoort, 8. März 1941
Liebe allerseits!
Es geht uns gut. Wir sind gewaltig am Packen und sitzen in einem Riesenchaos. Der Wechsel nach Soest geht jetzt in einem erhöhten Tempo vonstatten. Am 14. März fährt Lepel hin, um dort die Oberaufsicht zu übernehmen, und wenn alles gut geht, wird dort mit Mann und Macht gearbeitet, Putzfrau, Maler-Tapezierer-Bodenverleger und Zimmermann. Was uns am meisten erfreuenwürde, wäre natürlich die Räumung des Kutschhauses, in dem jetzt noch die Wehrmacht haust. Ich habe dem Bürgermeister von Soest Jhr des Tombe deswegen geschrieben. Das ist schon 10 Tage her, aber ich habe leider noch keine Antwort erhalten. Die erste Sendung Möbel geht am 22. März ab. Dann fahren wir, Ann und ich, nach Vosseveld, und Lepel geht wieder in Zandvoort aufpassen. Am 28. März wird dann der zweite Teil umgezogen. Ich habe mich bei N. V. van Doorn erkundigt wegen des Transports von Schrank, Spiegel und Ofen. Das geht doch nicht so reibungslos. Man kann zwar die Sendung versichern (es kostet nur ein Kwartje pro
f
100), aber für Glas ist das ausgeschlossen. Es hat unterwegs schon mal Malheur und Sabotage gegeben. Van Doorn riet an, den Spiegel und die Glastüren der Bücherschränke in eine Spiegelkiste zu packen. Ob das gelingen wird, bei der Seltenheit und Kostspieligkeit von Brettern und in Anbetracht dessen, dass ihr Gebrauch verboten ist? … Zum Glück konstatierte der Doktor diese Woche bei mir einen normalen Blutdruck von 150 Max 90 Minimum. Doch darf ich mich natürlich nicht aufregen, und das ist im Augenblick doch schwierig.
Großvater klang ebenso euphorisch wie Lepel in seinen Briefen aus jener Zeit und schien bestens imstande zu sein, alle seine Geschäfte wahrzunehmen. Anscheinend hatte es ein Problem mit seinem Blutdruck gegeben, aber geistig fehlte ihm eindeutig nichts.
Es gab auch einen Brief von ihm von
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