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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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Remittende mit, was ich falsch gemacht hätte. Da ich das Geld benötigte und diese Arbeit meinen Ehrgeiz nicht anregte, zeichnete ich schließlich genau das, was sie drucken wollte, und ich bekam an jedem Monatsanfang das Geld überwiesen und die Gewerkschaftszeitung zugeschickt, in der im billigen Druck die Zeichnungen und Grafiken von mir zu sehen waren. Es handelte sich um Arbeiten, wie ich sie nie zu Papier hatte bringen wollen, Arbeiten, für die ich mich schämte, die aber auch nie einer zu sehen bekam, denn diese betriebliche Gewerkschaftszeitung wurde vermutlich nicht einmal von den dort Beschäftigten in die Hand genommen. Es war alles reine Makulatur, die Zeitung wie meine Skizzen, Zeichnungen und Grafiken, doch es half mir zu überleben. Nach einem halben Jahr hatte ich ausreichend Erfolg mit meinen richtigen Arbeiten und schrieb Frau Gerhardt einen groben Brief, in dem ich mich für ihre Belehrungen bedankte, auf die ich in Zukunft jedoch verzichten wolle. Sie schrieb mir zurück, sie sei von mir sehr enttäuscht.
    Inzwischen hatte ich einen gut betuchten Freundeskreis um mich versammelt. Meine neuen Bekannten kauften manchmal ein Blatt von mir oder auch ein Ölbild undbrachten mich überdies mit neuen Kunden zusammen, die sich meine Bilder und mein Atelier nicht nur ansehen wollten, sondern so viel Kunstsinn besaßen, meine Sachen zu schätzen, und darüber hinaus auch das Geld, sie zu bezahlen. Dies hatte ich in erster Linie Jan zu verdanken.
    Jan Hofmann hatte ich im Oktober in einem Kino in der Oranienburger Straße kennengelernt. Es gab dort den neuen Film eines berühmten russischen Regisseurs, dem derzeit besten und wichtigsten, wie mir Freunde gesagt hatten. Ich kannte diese Filme nicht, ich war selten im Kino gewesen. Als ich von der einmaligen Sondervorführung des Films hörte, wollte ich ihn unbedingt sehen, zumal er in der Originalsprache gezeigt werden sollte. Ich ging zusammen mit Mona ins Kino. Mona war meine neue Nachbarin, eine junge Frau, die mit ihrem kleinen Sohn in der Wohnung unter mir wohnte. Sie kannte tausend Künstler, ging zu jeder Ausstellungseröffnung und zu jeder Premiere und erzählte mir stets irgendeine Geschichte von einem Prominenten. Ich hatte das Gefühl, sie lebte davon, dass sie so viele Leute kannte, denn womit sie eigentlich ihr Geld verdiente, hatte sie mir nie verraten.
    Es war tatsächlich ein schöner, ein mich berührender Film, der in der ersten Jahrhunderthälfte spielte, irgendwo auf dem russischen Land. Er erzählte wohl von der Kindheit des Regisseurs, von den endlosen Wiesen und Wäldern, von seiner wunderschönen Mama, die wie eine Heilige durch diesen Film ging, aufrecht und stark, und die ihre Kinder zärtlich, aber sehr bestimmt aufzog. Ein Haus brannte, das Haus der Familie, die Kindheit war zerstört, war zu Asche geworden. Der Junge wurde erwachsen, und man konnte die Sehnsucht des Mannes nach der Kindheit, nach der Mama in seinem Gesicht lesen, jede seiner Bewegungen verriet das Heimweh nach denverlorenen, verbrannten Tagen. Deutlich erinnere ich mich nur noch an einen Spiegel, in dem der Held sich und seine Umgebung sieht, und an das beständige Wiegen und Rauschen der Grashalme, das dem Film seine Farbe gab, seine Musik. Dieses Gras war für mich das Beeindruckendste, ich hatte es nie zuvor so gesehen, weder im Kino noch in der Natur, es war wie ein lebendig gewordenes Ölbild. Sekundenlang oder auch minutenlang sah man die Wiesen, über die der Wind lief, leicht und zärtlich, oder heftig und alles erfassend. Die Halme wiegten sich oder wurden zu Boden gedrückt, in langen, in endlos langen Wellen rauschte das Feld, die Wiese, bewegten sich die Gräser. Ich dachte mir, dass der Regisseur in Wahrheit ein Maler war, ein Maler, der mit der Kamera statt mit dem Pinsel arbeitete.
    Mona hatte der Film ebenfalls gefallen, aber nachdem die Saallichter wieder angegangen waren, hatte sie Bekannte entdeckt, die sie unbedingt begrüßen musste. Sie steuerte auf eine Gruppe von fünf Personen im Foyer zu, zwei Frauen und drei Männer. Sie zog mich hinter sich her und flüsterte mir zu, es seien ganz berühmte Schauspieler, doch ich kannte keinen von ihnen. Mona begrüßte sie mit Wangenküsschen und stellte mich ihnen vor.
    »Meine neue Nachbarin«, sagte sie, »eine Malerin. Eine Kunstmalerin natürlich.«
    Die Männer gaben sich gönnerhaft, von den Frauen hatte ich den Eindruck, sie betrachteten mich als Nebenbuhlerin, als Rivalin. Mona und ihre

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