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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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bemühe mich, ihnen auszuweichen, sobald ich ihre faule Stelle entdeckt hatte, und mittlerweile kann ich diese faulen Stellen riechen, sobald sie nur in meine Nähe kommen. Menschliches Unglück riecht wie verschwitzte Bettlaken, wie essigsaure Tonerde, wie ranziges Firnisöl.
    Jan dagegen versprühte Erfolg. Die Art, wie er sich bewegte und wie er sprach, jede Bewegung verriet, dass er keinerlei Schwierigkeiten mit sich hatte. Was mich an ihm faszinierte, waren seine Augen. Er besaß zwei unterschiedlich geschnittene Augen, die Iris des einen stimmte nicht mit der des anderen überein, und jedes Auge schien anders zu strahlen. Wenn man in seine Augen sah, hatte man das Gefühl, in die Augen zweier völlig verschiedener Menschen zu blicken. Als ich ihn darauf ansprach, sagte er, als Kind sei er am rechten Auge operiert worden und habe seitdem tatsächlich zwei ungleiche Augen, worüber er jedoch nicht unglücklich sei, verdanke er doch die Rolle in »Maria«, seinem wichtigsten Film, mit dem er vor zehn Jahren den Durchbruch geschafft habe, genau dieser Besonderheit. Der Regisseur habe ihn damals nur deswegen besetzt, jedenfalls habe er das überall herumerzählt. Er gefiel mir, ich konnte mir eine Liaison mit ihm, ein hübsches unaufwendiges Verhältnis, durchaus vorstellen, aber er war zum falschen Zeitpunkt aufgetaucht, ich brauchte keinen Mann, ich konnte selbst auf den netten Jan verzichten.
    Als ich ihm schließlich sagte, er solle gehen, weil ich arbeiten wolle, lud er mich nochmals zu seiner Premiere ein und holte eine Eintrittskarte aus seiner Jackentasche.Beim Abschied umarmte er mich und versuchte, mich zu küssen. Ich schob ihn zurück und sagte lediglich: »Ich habe zu tun. Sie müssen gehen.«
    »Kommst du zur Premiere?«
    Ich lachte und nickte und sagte: »Vielleicht.«
    Ich hatte keinesfalls vor, zu seiner Filmpremiere zu gehen. Ich fürchtete, in eine Geschichte hineingezogen zu werden, die ich nicht wollte und die irgendwie trotzdem passieren würde. Ich kannte mich, ich wusste, dass ich aufzupassen hatte. Menschliche Beziehungen sind das Resultat von Missverständnissen. Offenbar sendete mein Körper die falschen Signale aus. Ich bin eine andere, als ich scheine, und ich sollte auf meine Pullover, meine Shirts und Blusen vorn und hinten draufschreiben: Sie irren sich.
    Ich arbeitete bis zum Abend an einem Doppelporträt. Ich arbeitete mit vielen und langen Pausen, in denen ich mir einen Tee machte, mich mit der Tasse vor die Leinwand setzte und die Staffelei musterte oder meine Skizzen durchsah. Nach sieben Stunden war ich todmüde und legte mich zeitig ins Bett. Am nächsten Morgen wurde ich früh wach und stand sofort auf, um mich, nach einem kleinen Frühstück, wieder an die Leinwand zu setzen.
    Das neue Bild, spürte ich, hatte endlich seinen Sog entwickelt. Ich war erleichtert, denn wenn die Leinwand mich nicht in sich hineinziehen wollte, wenn sie mich nicht zum Arbeiten zwang, stimmte irgendetwas nicht, diese Erfahrung hatte ich mit meinen Bildern gemacht. Oder mit mir. Wenn ich morgens ungeduldig wurde, weil ich nicht an der Staffelei war, oder nervös, weil ich irgendwelche Termine hatte, die ich möglichst rasch hinter mich bringen wollte, um endlich anfangen zu können, dann wusste ich, dass ich auf dem richtigen Weg war und nicht, wie so oft, scheitern würde. Ich arbeitete an dem Porträt einesälteren Ehepaars, das mir in einer Kneipe aufgefallen war. Ich hatte die zwei angesprochen und überreden können, mir Modell zu sitzen. Meine Skizzenblätter irritierten mich allerdings, und als ich sie ein paar Tage später in die Hand nahm, hatte ich urplötzlich das Gefühl, meine Eltern gezeichnet zu haben, obwohl ich nicht genau sagen konnte, wieso. Es bestand überhaupt keine Ähnlichkeit, sie waren älter, viel älter, weder ihre Augen noch die Form ihrer Gesichter erinnerten im Geringsten an Mutter und Vater, und doch gab es zwischen den beiden etwas, was mir meine Eltern in Erinnerung rief, ein Verhältnis, eine Spannung, irgendeinen Faden, der sich unsichtbar von dem einen zum anderen zog. Möglicherweise war es wieder diese ominöse Körpersprache, die ich auf dem Blatt festgehalten hatte. Ich war jetzt sicher, dass diese beiden Alten sich genauso hassten wie meine Eltern, obwohl sie in den Stunden, die sie mit mir verbracht hatten, zwar sehr befangen und schweigsam, aber durchaus nicht unfreundlich miteinander umgegangen waren. Ich hatte viele Skizzen der beiden Alten in ihrer

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