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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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schickte mir sofort einen Dekorateur aus ihrer Handwerkertruppe, er renovierte in vier Tagen die Zwei-Zimmer-Wohnung, brachte sogar die Farben und Tapeten mit, und ich musste keinen Pfennig dafür bezahlen. Sie erklärte mir, sie werde diese Dienstleistung anderweitig abrechnen, ich müsse mir keine Gedanken machen, sollte dem Dekorateur nur zu essen und zu trinken geben, ihm aber nicht erzählen, dass wir befreundet seien. Sie habe ihm gesagt, sie wolle mich für eine leitende Funktion im Einkauf gewinnen und mir darum diesen Service zukommen lassen.
    Als ich die Wohnung das erste Mal betrat, war ich sehr erschrocken, aber nach der Renovierung wirkte sie wie ein Prunkstück. Sie war sehr viel schöner als meine Studentenbude, hatte eine große Küche und ein richtiges Bad mit uralten Fliesen, begrenzt von Riemchen mit Blumenmustern. Und sie gefiel mir besser als Waldschmidts Villa, denn sie gehörte mir allein. Im Gebrauchtwarenhaus am Rosenthaler Platz erstand ich für hundertzwanzig Mark die gesamte Einrichtung, vier Stühle, einen Tisch, einen Küchenschrank, zwei Sessel und eine Klappliege. Die Liege stellte ich im größeren Zimmer auf, das auch mein Arbeitszimmer werden sollte. Eine Woche nachdem ich die Zuweisung für die Wohnung erhalten hatte, war ich mit dem Einrichten fertig und konnte mich nach dem Frühstück an die große Arbeitsplatte setzen, um die ersten Skizzen in meinem neuen Leben zu Papier zu bringen.
    Auf meinem Konto befanden sich noch sechshundert Mark, einen Auftrag hatte ich nicht in Aussicht. Zwölf der Absolventen meines Studienjahrgangs hatten noch vor dem Diplom große Aufträge bekommen, von denen sie mindestens ein Jahr leben konnten, und alle außer mir hatten Förderstipendien erhalten, zwei Jahre lang eine kleine monatliche Summe. Ich telefonierte mit einigen Freunden, ein Graphiker sagte mir, ich solle beim Künstlerverband vorsprechen, dort gäbe es eine für Absolventen und Nachwuchskünstler zuständige Dame. Ich ging noch am selben Nachmittag in das Gebäude des Verbandes zu dieser Frau, einer mütterlich wirkenden dicken Dame mit blaugetöntem Haar, die mich ausfragte und so tat, als würde sie sich nur noch um mich kümmern. Sie machte mir Vorwürfe, ich hätte viel früher zu ihr kommen sollen, alle anderen Kommilitonen seien schon vor einem Jahr aufgetaucht und sie habe allen helfen können. Dann verließ sie für eine halbe Stunde das Zimmer, und als sie zurückkam, gab sie mir die Adresse und Telefonnummer eines Chemiebetriebes in Halle und einen Namen, sie sagte mir, der Betrieb suche einen jungen Künstler, habe aber wohl keinen besonders aufregenden Auftrag zu vergeben, denn zwei Absolventen der Kunsthochschule hätten ihn nicht akzeptiert.
    »Ich fürchte, ich muss alles akzeptieren«, antwortete ich.
    »Wird schon, Kindchen«, sagte sie und tätschelte dabei meine Hand, »in ein paar Jahren werden sie sich um dich reißen. Du wirst sehen, dann hast du große Aufträge und Ausstellungen. Wir beide schaffen das schon.«
    Sie duzte mich plötzlich, was mir äußerst unangenehm war, aber ich riss mich zusammen und lächelte ergeben. Ich brauchte diese dumme dicke Frau noch, ich durfte sie nicht vor den Kopf stoßen.
    Ich rief in Halle an und sprach mit einem Herrn Söntgen. Er wollte am Telefon keine genauere Auskunft geben und verlangte, dass ich zu ihm komme. Er müsse mich erst kennenlernen, bevor er mir einen Auftrag erteilen könne, und ich möge eine Mappe meiner bisherigen Arbeiten mitbringen. Dann sagte er, er habe in der kommenden Woche in Berlin zu tun und wir könnten uns bei mir treffen. Er ließ sich meine Adresse geben und wollte sich mit mir für den nächsten Mittwochabend in meiner Wohnung verabreden, dann könne ich ihm auch meine Arbeiten zeigen. Ich erklärte, dass ich momentan meine Wohnung niemanden zeigen könne, da ich gerade erst eingezogen sei. Wir verabredeten uns im Café Unter den Linden. Söntgen war stämmig, etwa vierzig, hatte dicke Wangen und große Tränensäcke, er war der Gewerkschaftsfunktionär in dem Chemiebetrieb und suchte einen jungen Künstler, der für die jeden Monat erscheinende Gewerkschaftszeitung Grafiken und Vignetten lieferte. Ich sollte an jedem Zehnten des Monats drei Schwarzweiß-Blätter abgeben. Die Vignetten sollten im Lauf der Zeit eine Sammlung von etwa fünfzig Zeichnungen ergeben, die seine Zeitung wiederholt nutzen würde. Für diese Arbeit, die ich, falls er zufrieden sei, jahrelang machen könnte, sollte

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