Frau Paula Trousseau
Freunde unterhielten sich über den Film, ich hörte ihnen zu. Eigentlich sprachen sie gar nicht über den Film, sie sprachen nicht über das, was ich gesehen hatte, sondern über die Schauspieler, über die einzelnen Rollen. Als ich die Wiesen erwähnte, die wogenden Halme, sahen sie mich überrascht an, einer der Männer nickte, und dann redeten siewieder über die Hauptdarsteller. Es war, als würde man bei einem Aquarellbild über die einzelnen Farben reden, über das Rot oder über die Farbe Grün, als bestünde ein Bild nur aus einzelnen Strichen und Farbklecksen. Den Film, den ich erlebt hatte, hatten sie nicht wahrgenommen, sie hatten etwas anderes gesehen, Schauspieler, ein Kinoereignis der Schauspielkunst. Die Geschichte, die Story, die Handlung, das, was den Regisseur beschäftigt hatte und was er so wundersam auf Zelluloid zu bannen verstand, sie hatten es nicht einmal beachtet. Ich konnte sie verstehen, sie hatten den Film als Fachleute gesehen, als Kollegen vom selben Fach. So, wie ein Tischler sich vielleicht auf eine Sprosse oder ein Stuhlbein konzentriert und das gesamte Möbelstück für ihn nebensächlich wird, so sahen und beurteilten sie die Einzelheit, das bemerkenswerte Detail, und vernachlässigten das, was ihnen bereits bekannt oder auf das sie weniger aufmerksam waren. Ich lauschte ihnen gebannt, es waren für mich Leute aus einer anderen Welt, aus einer ganz anderen Welt.
Mona hatte offenbar engen Kontakt mit ihnen, jedenfalls tat sie mir gegenüber so. Da sie bei ihren Freunden bleiben wollte, verabschiedete ich mich. Ich war bereits auf der Straße, als mein Name gerufen wurde. Einer der Schauspieler kam auf mich zu gelaufen, ein großer Mann mit Schnauzbart und langen Koteletten.
»Sie heißen Paula?«, fragte er. Ich nickte.
»Wollen Sie zu meiner Premiere kommen? Übermorgen Abend im Kino Kosmos? Es ist ein Kriminalfilm, aber kein üblicher, vielmehr einer mit Tiefgang, sehr kritisch. Ich spiele die Hauptrolle, oder eine der Hauptrollen. Habe ich Sie überreden können?«
»Übermorgen? Ich weiß nicht.«
»Hätten Sie jetzt etwas Zeit für mich? Kann ich Sie zu einem Kaffee einladen? Oder auf ein Glas Wein?«
»Ich kenne Sie überhaupt nicht.«
»Verzeihung, aber das stimmt nicht ganz, wir wurden eben miteinander bekannt gemacht. Ich heiße Jan Hofmann, ich bin Schauspieler. Filmschauspieler.«
»Das weiß ich.«
»Dann wissen Sie alles über mich. Und ich würde Sie gern kennenlernen. Kommen Sie, wir gehen in ein Café.«
Er fasste mich am Arm und zog mich über die Straße. Eine Stunde lang saßen wir zusammen, und er erzählte von sich und seiner Arbeit. Als ich ihm sagte, ich müsse gehen, bat er mich, ihm mein Atelier zu zeigen und meine Bilder. Er wollte gleich mitkommen, doch ich behauptete, ich hätte noch eine Verabredung.
»Dann morgen früh. Da Sie Monas Nachbarin sind, kenne ich ja Ihre Adresse.«
»Ich weiß nicht, ob ich morgen früh zu Hause bin.«
»Ich lass es auf einen Versuch ankommen. Morgen um zehn. Ich bringe Ihnen auch eine Premierenkarte mit.«
Er ging zum Tresen, um zu bezahlen. Ich bemerkte, dass andere Gäste ihn erkannten und sich nach ihm umdrehten, offenbar war er tatsächlich bekannt. Während er mit der Kellnerin sprach, die ihn beglückt anstrahlte, wandte er sich zu mir um. Er lächelte mir zu, aber sein Lächeln galt unverkennbar dem ganzen Lokal. Ein selbstbewusster Blick, ein selbstzufriedener. Er war mit sich und der Welt im Reinen, er war zufrieden, das schätzte ich an ihm. Selbst wie er ging, wie er mit einer leichten, kaum wahrnehmbaren Verzögerung die Füße aufsetzte, so dass sein Gang auffällig wurde, ohne dass man sagen konnte, wieso, ohne dass man hätte angeben können, was bei ihm anders war und weshalb er auffiel. Und er genoss es. Ich musste unwillkürlich lachen, als er auf mich zukam, wie bewusst er jeden Schritt setzte, denn es war lächerlich, aber es gefiel mir.
3.
Jan Hofmann klingelte am nächsten Morgen pünktlich um zehn Uhr an meiner Tür. Ich öffnete ihm in meinem alten Malerkittel, den ich schon an der Hochschule getragen hatte, und behauptete, ich hätte den Besuch vergessen.
»Das glaube ich Ihnen nicht«, sagte er, überreichte mir eine einzelne weiße Rose und fragte, ob er eintreten dürfe. Ich machte ihm einen Tee, er sah sich meine Küche an.
»Mit Bildermalen scheint man nicht allzu viel zu verdienen«, befand er schließlich.
»Mit Kunst verdient man wenig, mit Scheiße kann man viel
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