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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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ich monatlich zweihundert Mark bekommen.
    »Aber nichts Abstraktes«, sagte er dreimal und hob warnend den Zeigefinger.
    Nach einer Stunde hatte er drei große Biergläser ausgetrunken und erzählte mir, bei seiner Hotelbuchung sei ein Fehler unterlaufen, weshalb er nicht wisse, wo er in Berlin übernachten könne. Er erkundigte sich, ob ich ihm nicht aushelfen könne.
    »Gehört das auch zu dem Auftrag?«, erkundigte ich mich, »alles für zweihundert Mark?«
    Er grinste und wollte meine Hand nehmen, ich zog sieso rasch zurück, dass er bei dem Versuch, nach mir zu langen, sein Glas umstieß und sich die Reste des Biers über die Hose schüttete. Meine Arbeitsmappe wollte er nicht mehr sehen. Er stand auf, sagte, ich würde von ihm oder dem Zeitungsredakteur hören, er müsse sich jetzt umziehen, da er im Ballhaus noch eine Verabredung habe. Nachdem er gegangen war, verschnürte ich meine Mappe. Der Kellner kam an den Tisch und sagte, ich müsse noch meinen Tee bezahlen, der Herr habe nur seine Biere beglichen.
    »Das dachte ich mir«, sagte ich und gab ihm das verlangte Geld.
    Ich hatte vermutet, der Auftrag habe sich damit erledigt, aber eine Woche später meldete sich die Redakteurin der Gewerkschaftszeitung, eine Frau Gerhardt, mit einem Brief. Sie erklärte ganz genau, was sie sich von mir wünschte. Auf den Blättern müsste der Betrieb zu sehen sein oder Ansichten von Halle, außerdem sollten Landschaftsgrafiken darunter sein. Alles sollte sommerlich und fröhlich wirken, denn sie bemühe sich, eine optimistische Zeitung zu machen. Sie bat mich, Probeblätter zu schicken, und lud mich auf Kosten des Betriebes zu einem mehrtägigen Besuch nach Halle ein. Sie würde mich durch den Betrieb führen, damit ich die Arbeiter und die Fabrik kennenlernen könnte, denn schließlich müsste ich mich auf das einlassen, was ich zu zeichnen und zu malen habe.
    Ich fuhr eine Woche später für drei Tage nach Halle. Frau Gerhardt ging mehrere Stunden mit mir durch den stinkenden Chemiebetrieb. Für Sekunden sah ich auch Herrn Söntgen wieder, er nickte mir flüchtig zu, ohne mich anzusprechen. In ihrem Zimmer sah sich die Redakteurin meine mitgebrachten Blätter an, und ich bereute es zum ersten Mal in meinem Leben, dass ich unbedingtMalerin werde wollte. Verkäuferin in einem Schuhgeschäft, das müsste ein schönes Leben sein, dachte ich, als Frau Gerhardt pikiert und hastig meine Zeichnungen durchblätterte.
    »Kunst«, sagte sie dann, »Kunst ist in meinen Augen immer etwas Schönes. Strahlende Menschen, Kinder, Farben, Blumen. Wenn man Depressionen hat, sollte man zum Arzt gehen. Haben Sie nicht noch andere Zeichnungen? Etwas Fröhlicheres, etwas Buntes, etwas Lustiges?«
    »Schwarzweiß hatten Sie gesagt«, erwiderte ich, »schwarzweiß aus Kostengründen.«
    »Ja, aber doch nicht düster. Unsere Arbeiter sind fleißig und dem Leben zugewandt, die wollen von uns keine trübe Sicht auf die Welt, die wollen ihren Spaß haben. Mit Melancholie haben unsere Menschen nichts zu schaffen, die wollen etwas aufbauen.«
    »Ich verstehe«, sagte ich, »vielleicht bin ich nicht die Richtige für Ihre Zeitung.«
    »Nicht doch. Nicht gleich die Flinte ins Korn werfen, Frau Trousseau. Sie sind noch jung, Sie werden schon noch den richtigen Blick für die Welt bekommen. Es kann nur von Vorteil für Sie sein, wenn Sie sich mit der Arbeit der Werktätigen vertraut machen, wenn Sie mit unseren Arbeitern sprechen. Ich werde Ihnen dabei helfen. Schauen Sie sich bei uns um, studieren Sie die Gesichter, sprechen Sie mit den Arbeitern, und versuchen Sie nicht, immer nur die hässlichen Flecken in unserem Leben zu entdecken. Die gibt es natürlich, aber die haben keine Zukunft. Sie können sich nachher in der Kasse die ersten zweihundert Mark aushändigen lassen, und dann fangen Sie einfach an. Und wenn Ihnen mal ein Bild missrät, das kann passieren, dann werde ich es Ihnen sagen. Dazu bin ich ja da. Nur Mut, junge Frau.«
2.
    Ein halbes Jahr lang schickte ich die gewünschten Blätter nach Halle. An zwei Tagen im Monat zeichnete ich die Bilder nach den Ansichtskarten und Fotos, die ich bei meinem Besuch in der Stadt und dem Chemiewerk gekauft hatte. Ich hatte damals auch selber fotografiert und an den drei Tagen hatte ich zehn Filme belichtet, ich wollte nicht ein zweites Mal für diesen Unsinn nach Halle reisen. In den ersten Wochen wurden nur wenige meiner Bilder akzeptiert, Frau Gerhardt schickte sie mir zurück und teilte mir zu jeder

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