Frau Paula Trousseau
Pfennig gesehen.«
»Einen Mahnbrief! Bist du jetzt völlig ausgerastet, du dumme Kuh?«
»Geh in den Konsum und bezahle, dann ist alles erledigt. Was kann ich dafür, dass du das Geld zu deiner Hure schaffst! Das Essen soll ja jeden Tag auf dem Tisch stehen.«
»Ich zahle schon mehr als genug. Und bevor du deinen Haushalt nicht in Ordnung bringst, bekommst du von mir nicht einen Pfennig zusätzlich.«
»Irgendwann reicht es mir. Irgendwann wirst du ein blaues Wunder erleben.«
Paula ging aus der Küche hinaus zur Wohnungstür. Sie überlegte kurz, ob sie noch den Mantel vom Garderobenhaken nehmen sollte, doch der Wunsch, rasch das Haus zu verlassen, war stärker. Als sie die Tür zugezogen hatte, fiel ihr ein, dass sie den Wohnungsschlüssel vergessen hatte, doch sie wollte nicht umkehren. In der Waldsängerallee war kein Kind. Eine Nachbarin fegte die Straße, zwei Männer kauerten neben einem Motorrad, zwei alte Frauen hatten Kissen auf die Fensterbank gelegt und schauten ihnen zu. Paula hörte durch die geschlossenen Fenster die lauten Stimmen ihrer Eltern. Sie bemerkte, wiedie Nachbarn den Kopf zu ihr und ihrem Haus wandten, dann rannte sie los.
5.
Nachmittags um vier hörte ich auf, am Bild zu arbeiten, und reinigte langsam und gründlich meine Malsachen. In der Küche stieß ich auf die Eintrittskarte von Jan, und da ich an dem Abend nichts weiter vorhatte, entschied ich, mir den Film anzusehen. Ich aß etwas und machte mich dann auf den Weg ins Kino. Ich klingelte an der Wohnungstür unter mir, aber es öffnete niemand, Mona war wohl schon unterwegs, sie würde die Premiere gewiss nicht versäumen.
Ich sah sie im Kinofoyer. Sie stand mit einigen Bekannten zusammen und winkte, ich nickte ihr zu und ging in den Saal. Ich wollte nicht, dass Mona mich ihren Freunden vorstellte, denn sie übertrieb gern und tat jedes Mal so, als sei ich eine berühmte Malerin, die jedermann kennen müsse. Sie war nun einmal so, sie konnte nicht anders, jeden Prominenten wollte sie kennenlernen und lief ihm deswegen hinterher, und alle Bekannten mussten immer wichtig oder berühmt sein. Als einmal eine Krankenschwester bei ihr zu Hause war, tat sie mir gegenüber so, als sei diese Frau die allerwichtigste Person in der Charité, von der sich der Chefarzt beraten ließ. Und über eine Verlagslektorin wollte sie mir weismachen, diese verfasse in Wahrheit die Bücher. Die Autoren, deren Namen auf den Büchern stünden, würden ihr angeblich ungeordnete und kaum lesbare Manuskriptbündel übergeben, aus denen sie dann die fabelhaften und erfolgreichen Romane zusammenbastele. Ich gab mich jeweils erstaunt und widersprach nie, Mona glaubte felsenfest an das, was sieerzählte, es war nutzlos, ihre Angaben zu bezweifeln oder mit ihr zu streiten.
Der Film interessierte mich nicht. Jan spielte eine der Hauptrollen, einen Zeugen, den die Polizei anfangs verdächtigte und der sie später auf die entscheidende Spur brachte. Als sein Gesicht sekundenlang in einer Großaufnahme gezeigt wurde und ich seine unterschiedlichen Augen auf der riesigen Leinwand sah, erinnerte ich mich an das, was er mir darüber gesagt hatte, und lachte laut auf. Es amüsierte mich, wenn er auf der Leinwand zu erblicken war, aber nur, weil ich ihn kannte. Es war ein gewöhnlicher Kriminalfilm ohne besondere Raffinesse oder erregende Einstellungen, er hatte keine Schönheit. Wehmütig dachte ich an die Bilder in dem russischen Film, an die weiten Landschaften, an das wogende Gras, an die schönen, geheimnisvollen Gesichter der Menschen. Als das Licht im Saal anging, wurde geklatscht, die beteiligten Filmleute wurden auf die Bühne gebeten und vorgestellt. Ich bemerkte, dass Jan die Sitzreihen absuchte, ich saß sehr weit hinten und rutschte tief in den Sessel zurück. Ich wollte ihn nicht treffen, ich wollte nicht mit ihm über den Film sprechen oder seinen Freunden vorgestellt werden. Als alle aufstanden, ging auch ich hinaus und verschwand im Schacht der U-Bahn. Zu Hause schüttelte es mich beim Gedanken an den Film, den ich gerade gesehen hatte.
Am folgenden Mittwoch bekam ich einen Telefonanschluss gelegt, und der Monteur stellte mir einen alten weißen Telefonapparat hin. In zwei Tagen, sagte er, würde mein Anschluss freigeschaltet, dann könne ich Tag und Nacht telefonieren, wenn nicht gerade mein Kompagnon telefoniere. Da ich ihn nicht verstand, erklärte er mir, er habe nicht genügend Leitungen zur Verfügung und mein Telefon sei ein sogenannter
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