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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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Wohnung gemacht und mit ihnen vereinbart, dass sie zu mir kommen sollten, um Modell zu sitzen, wenn ich mit dem Ölbild beginnen würde, doch nachdem ich diese rätselhafte Ähnlichkeit entdeckt hatte, benötigte ich sie nicht mehr, ich konnte sie auf die Leinwand bringen, ohne sie vor mir zu haben, ich hatte sie so direkt vor Augen, dass ich auf ein weiteres Modellsitzen verzichten konnte. Ich hatte nur darauf zu achten, dass es nicht unversehens ein Bild meiner Eltern werden würde. Meine Eltern waren der Hintergrund, die Grundierung für dieses Bild, sie sollten nicht auch noch die beiden Alten verdrängen.
    Erst jetzt, Jahre nachdem ich das Elternhaus verlassen hatte, begann ich, Vater zu hassen. Stets war ich von ihm abhängig gewesen, er hatte es geschafft, mich immerzu inAngst zu versetzen, pausenlos fürchtete ich mich davor, seinen Ansprüchen nicht zu genügen, zu versagen. Ich begann ihn zu hassen, weil ich begriff, dass er mir meine Kindheit genommen hatte. Für ihn waren meine Schwester, mein Bruder und ich so etwas wie junge Hunde, die man abrichten musste, damit sie sich in Zukunft richtig verhielten.
    Es war ein sehr eigentümliches Malen für mich, ein Malen aus Liebe, aus Hass, aus Erinnern, aber ich war erfahren genug, um nicht sentimental zu werden. Ich würde das Bild nicht durch Dummheiten verfälschen, nichts hinzufügen, was nur in meinem Kopf war, was ich fühlte. Oder gar aus Mitleid etwas hinzusetzen. Ich würde auch bei diesem Bild kalt und genau bleiben. Paula hatte gelernt, Paula war erwachsen geworden.
4.
    »Komm. Komm her«, sagte Clemens, als Paula ihm den Tee auf den Nachttisch gestellt hatte, »hast du Angst vor meinem Bein?«
    Paula schüttelte den Kopf, sah aber nur auf die beiseitegeschobene Bettdecke.
    »Du kannst es dir ruhig anschauen. Ekelhaft, nicht? Ich finde das Bein zum Kotzen. Krüppel zu sein, das ist das Letzte. Was du dir da anhören musst, oh Mann. Krüppel ist wirklich das Allerletzte. Da guckt dich kein Mädchen an, höchstens so ’ne verwahrloste Schlampe, über die schon alle drübermachten. Weiß du, wovon ich rede?«
    Paula nickte kurz. Sie wollte möglichst schnell das Zimmer wieder verlassen, aber sie fürchtete, der Bruder würde sie zurückrufen und sie zwingen, sich sein schlimmes Bein genau anzusehen.
    »Sei nicht so schreckhaft, Paula. Schlägt dich der Alte?«
    Sie schloss die Augen und erstarrte.
    »Was ist? Schlägt er dich?«
    Sie nickte fast unmerklich.
    »Dieses Schwein. Irgendwann bringe ich ihn um, ich schwörs dir. Mit mir macht er so was nicht mehr. Ich habe ihn einmal vermöbelt, seitdem traut er sich nicht mehr an mich heran. Soll ich mit ihm reden?«
    »Nein«, flüsterte Paula. Sie zwang sich, auf die Teetasse zu schauen, weil ihr Blick immer wieder in Richtung des schlimmen Beins ging.
    »Ich brauch dem Alten nur ein Wort zu stecken, Paula, und ich schwöre dir, er wird es nicht wagen, dich auch nur noch ein einziges Mal zu schlagen.«
    Sie schüttelte heftig den Kopf.
    »So schlimm ist es nicht«, sagte sie hastig.
    »Sei nicht blöd. Der Alte ist ein Miststück, der braucht einfach ab und zu mal ein paar zwischen die Hörner.«
    Paula ging langsam zur Tür, Clemens stellte seinen Plattenspieler an und legte den Tonarm auf die schwarze Scheibe. In der Tür stehend und bevor die Musik dröhnend einsetzte, bat sie Clemens: »Sag bitte Vater nicht, dass ich es dir gesagt habe.«
    »Sei nicht so feige, Paula«, rief Clemens. Er ließ den Kopf auf das Kissen zurücksinken, zündete sich eine Zigarette an und schlug mit der rechten Hand den Takt zu der ohrenbetäubenden Musik auf das Bettgestell.
    »Braucht Clemens noch etwas?«, fragte die Mutter, als Paula in der Küche erschien.
    »Nein, er hört schon wieder Musik.«
    »Das ist nicht zu überhören«, sagte die Mutter gereizt.
    Sie warf Zwiebelschalen in den vollen Mülleimer undwollte ihn Paula in die Hand drücken, als plötzlich die Küchentür aufgerissen wurde.
    »Was ist das?«, brüllte der Vater, der in die Küche stürmte und einen Brief auf den Tisch knallte, »was ist das?«
    Die Mutter warf einen Blick darauf und meinte: »Na und? Ich habe anschreiben lassen. Ich habe eingekauft und musste anschreiben lassen, weil ich kein Geld hatte.«
    »Du schuldest dem Konsum seit sechs Wochen das Geld. Jetzt schreiben die mir schon einen Mahnbrief.«
    »Dann gib mir Geld. Wir leben von dem, was ich verdiene und was mir Clemens gibt. Von deinem Gehalt habe ich seit Monaten nicht einen

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