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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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schienen abgehetzt und ruhelos. Stand eine Traube von Menschen um einen Verkaufsstand, bemühten sie sich eilig herauszufinden, was es dort zu kaufen gab, um sich dann anzustellen oder weiterzuhasten. Ungeduldig warteten sie darauf, bis eine der Verkäuferinnen Zeit für sie fände, oder sie drängten sich vor, unterbrachen mit einer Frage ein Gespräch und warteten kaum die Antwort ab. Alles war in Bewegung, friedlos, unglücklich.
    Ein kleines Mädchen weinte laut und herzzerreißend. Sie hielt eine Puppe fest umklammert, ihre Mutter bemühte sich, sie ihr aus den Händen zu reißen, was das Kind zu immer verzweifelterem Weinen brachte. Das Mädchen musste vier oder fünf Jahre alt sein, ein kleines Bündel von Energie, Zorn und Schmerz. Ihre Mutter riss ihr schließlich die Puppe aus den Armen, warf sie auf einen der Tische und eilte, das Kind an einer Hand hinter sich herziehend, weiter, wobei sie mit ängstlichen, nervösen Vogelaugen die Waren begutachtete, an denen sie vorbeirannte. Das Kind hörte nicht auf zu schreien. Ich nahm die hingeworfene Puppe in die Hand und ging mit ihr zu einer der Kassen, um mich dort anzustellen. Erst nachdem ich mich an das Ende der Käuferschlange gestellt hatte, wurde mir klar, dass ich die Puppe für Cordula haben wollte, dass ich sie ihr schenken wollte, dass ich zu ihr nach Leipzig fahren würde.
    Ich wusste nicht, wie ich es anstellen sollte, Cordula zu sehen, ich wusste nicht, was mich erwarten würde, ob ich Hans sehen müsste, ob er es erlauben oder verhindern würde, dass ich meine Tochter sehen konnte. Vor allem wusste ich nicht, was ich zu Cordula sagen sollte. Ich hoffte, sie würde mich wiedererkennen. Ich hatte Angst davor, dass sie mich hasste.
    Ich hatte mich für diesen Tag entschieden, weilCordula am Samstag sicher daheim war und Hans wie gewöhnlich arbeitete und sein Wochenende erst gegen zwei Uhr nachmittags begann, jedenfalls war er früher nie eher zu Hause erschienen. Ich hoffte, dass ich nur Cordula und jene Frau antreffen würde, die sich gelegentlich am Telefon gemeldet hatte. Mit einer Frau, dachte ich, käme ich leichter zurecht, wer auch immer sie sein möge. Sie würde es mir nicht abschlagen, Cordula zu sehen, sie würde verstehen, dass eine Mutter ihr Kind sehen muss, und wenn es nur einmal im Jahr ist. Vom Hauptbahnhof fuhr ich mit der Straßenbahn in die vertraute Gegend. Je näher ich seinem Haus kam, umso ängstlicher wurde ich. Alles war unverändert, der Vorgarten allerdings sah gepflegter aus als zu meiner Zeit, er war schön und langweilig. Als ich klingelte, öffnete eine junge Frau die Tür und fragte, was ich wünsche. Sie war genauso alt wie ich, vielleicht sogar jünger, ich sah auf den ersten Blick, dass es kein Kindermädchen war und keine Haushaltshilfe, sondern die Neue von Hans. Ich erriet es, weil sie mir ähnelte. Ich nannte meinen Namen und fragte, ob ich Cordula sehen könnte.
    »Das kann ich nicht entscheiden«, sagte die junge Frau, »da muss ich erst nachfragen. Wollen Sie in einer halben Stunde wiederkommen?«
    »Ja, fragen Sie bitte. Ich warte.«
    Sie schloss die Haustür, der Schlüssel drehte sich zweimal, und ich stand in der Kälte vor der Tür, überrascht, dass sie mich nicht ins Haus gebeten hatte, damit ich drinnen warten könne, bis der gnädige Herr entschieden habe. Ich hatte allen Mut zusammennehmen müssen, um diese Fahrt anzutreten, aber nun, frierend vor der geschlossenen Tür, schmolz mein Selbstvertrauen dahin. Ich ging durch den Vorgarten auf die Straße zurück und lief dort auf und ab, die Tür im Blick, um sofort zurückzukehren,sobald sie sich öffnen sollte. Ich kontrollierte unauffällig alle Fenster, ich hoffte, irgendwo den Kopf meiner Tochter zu sehen. Nach zehn Minuten fuhr ein Auto vor. Hans stieg aus, kam auf mich zu und fragte verärgert, was ich wünsche.
    »Ich möchte Cordula sehen.«
    »Ach was!«, sagte er empört, »die Dame kommt nach zwei Jahren hier an, um ihre Tochter zu sehen. Das ist ja eine überbordende Maßlosigkeit von Mutterliebe. Wie kommst du nur darauf, dass du sie sehen kannst? Ich jedenfalls will es nicht, und Cordula legt auch keinen Wert auf ihre Rabenmutter.«
    »Es ist Weihnachten, Hans. Bitte, lass mich Cordula sehen. Nur für eine Stunde.«
    »Ja, es ist Weihnachten. Die Zeit ist aufregend genug, da will ich meine Tochter nicht noch unnötig beunruhigen.«
    »Bitte. Ich bitte dich.«
    »Nein. Cordula und ich haben die fatale Katastrophe Paula einigermaßen

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